Geschafft.

Von Cristina Karrer*

Es ist schon dunkel, als Hejar ohne Anzuklopfen in unser Zimmer rennt. In den Augen des drahtigen Kurden steht der blanke Schrecken. "Kommt schnell, ich wurde soeben informiert, dass sieben Schäfer umgebracht und aufs Grässlichste verstümmelt wurden."

Claire, die BBC-Korrespondentin und ich, die AFP-Springerin, sehen uns an. Die Nachricht, auf die wir gewartet haben. Endlich läuft etwas. Endlich kommt Schwung in die Geschichte, in den Krieg. Es ist ein seltsamer Krieg, den wir zu beobachten verdammt sind. Die türkische Armee marschierte in diesem Frühling 1995 mit zehntausenden Soldaten in den Nordirak, um die Stellungen und Verstecke der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK auszuräuchern.

Viel Rauch haben wir schon gesehen. Rauch in entfernten Tälern, Rauch auch ganz aus der Nähe. Schwelende Strohdächer, Hühner, die einsam zwischen qualmenden Matratzen umherirrten. Über diesen Rauch, die Zerstörungen aus der Luft haben wir schon berichtet, sind dafür über Hügel gekraxelt, haben uns mit arroganten türkischen Offizieren herumgeschlagen und das beste aus unserem Charmepotential herausgeholt.

Doch darüber sind ein, zwei Meldungen möglich, ein Feature vielleicht, aufgezogen am Portrait einer Frau, die zusammen mit Tausenden obdachlos gewordenen Kurden und Kurdinnen am Strassenrand ein Zelt aufgeschlagen hat. Das alles haben wir schon hinter uns, doch die Agenturen wollen mehr, BBC will mehr, AFP will mehr, alle wollen die ersten sein in diesem Krieg, der wohl mangels anderer Katastrophen plötzlich so umfassend abgedeckt werden muss. Uns scheint, als müssten wir den Krieg zusätzlich aufblähen, sozusagen zur Vollblüte bringen, und dabei, eben, nach dem Rauch ist eigentlich nicht mehr viel geschehen. Die türkischen Soldaten verharrten hinter ihren Kanonen, verschoben einige Panzer und die PKK-Kämpfer blieben unsichtbar.

Doch jetzt: die ersten Toten. Big News. Auf dem Weg zur Moschee, wo die sieben Schäfer aufgebahrt sein sollen, besprechen wir das Vorgehen. Beide sind wir sehr nervös. Beide haben wir noch nie Tote gesehen, geschweige denn beschreiben müssen. Claire hält die Petrollampe, ich den Notizblock, gemeinsam wagen wir uns in die dunkle Moschee. Sieben Männer, verstümmelt bis zur Unkenntlichkeit. Ein Anblick, der uns auf seltsame Weise kalt werden lässt. Ich notiere: abgeschnittenes Ohr, kein Fuss, Hirn quillt heraus usw. Ein Treffen mit den lokalen Führern und dann rasen wir zurück, zum einzigen Satellitentelefone in der Gegend, das der UNO gehört. Während Claire ihren Bericht live spricht, hacke ich etwas in den Computer, bete, dass der Drucker funktioniert, faxe es nach Nikosia, der Nahostzentrale der Agence France Press.

Geschafft.

Doch ein Hochgefühl stellt sich nicht ein. Wir trinken einen Gin an der UNO-Bar, lachen etwas hysterisch und beobachten unsere Hände: sie zittern. Ein Vorgang, der sich wiederholen wird. Nach den Schäfern werden zwei Türken umgebracht, wir treffen als erste im Tatort ein, danach gilt es einen Angriff auf ein Auto aus dem Hinterhalt zu rapportieren und zum Schluss stirbt ein Mann durch eine Handgranate. Zu sehen ist nur noch sein Gebiss.

*Cristina Karrer arbeitet heute als Journalistin für SF DRS ("Zehn vor zehn")

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