"Es wirkt, als wären sie keine menschlichen Wesen"

Von Barbara Hofmann*

Tirana, Frühjahr 1999: Hunderte von JournalistInnen und Hilfswerksangehörigen drängeln auch in Geländewagen durch die Strassen der albanischen Hauptstadt. Bei Einbruch der Dunkelheit leuchten TV-Scheinwerfer die Terrasse des Hotels Tirana International am Skanderbegplatz taghell aus: Von dem 14-stöckigen Bau gehen Nachrichten in alle Welt. JournalistInnen und Hilfswerkangehörige treffen sich hier, tauschen Informationen aus oder lauschen sich auch ein bisschen die Storys ab.

Ich bin in Tirana als Medienverantwortliche für das deutsche Hilfswerk Medica Mondiale, das sich auf die psychosoziale Betreuung weiblicher Kriegsopfer spezialisierte und hier sofort nach Beginn der Bombardierungen das Hilfs-Projekt "Medica Kosova" startete, das in den Flüchtlingscamps versucht, Soforthilfe zu leisten. Seit bekannt wurde, dass das Projekt "Medica Kosova – Frauen für Frauen" startete, stürzen sich in- und ausländische Medien auf dessen Mitarbeiterinnen, stören die Frauen bei der Arbeit und zuhause. Meine Aufgabe ist es, die JournalistInnen in Schach zu halten. Was auf mich zukommen würde, hatte ich schon zuhause geahnt. Ein englisches Boulevardblatt bot eine astronomische Summe für die Exklusivrechte an den Geschichten der Vergewaltigungs- und Traumaopfer aus dem Kosov@.

Ich arbeite eng mit der albanischen Koordinatorin von Medica Kosova, Eglantina Gjermeni, zusammen. Sie ist Dozentin an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tirana. Eigentlich wäre mein Job in erster Linie die Medienarbeit, doch ergeben sich aus der Situation heraus auch immer wieder andere Notwendigkeiten im operativen Bereich, auf die wir flexibel reagieren müssen. Wir dokumentieren die Berichte der Flüchtlingsfamilien; überlegen, wie wir Hilfe organisieren können; legen fest, wer mit einzelnen Flüchtlingen wann zu einem Arzt gehen kann, da die medizinische Versorgung in vielen Lagern unzureichend ist. Die albanischen Mitarbeiterinnen, die versuchen, erste therapeutische Kontakte zu den Flüchtlingsfrauen herzustellen, berichten, wie schwierig das ist. Zu viele Menschen wollten ihre Geschichten hören, zuviele Versprechen wurden gemacht, zuviele Kameras und Mikrophone wurden bereits auf sie gerichtet. Sie sind müde, es fehlt ihnen an vielem, vor allem auch an Rückzugsmöglichkeiten.

"Gibt es jemand, der vergewaltigt wurde und Englisch spricht?" Häufig ohne sich anzumelden stehen männliche und weibliche Medienvertreter an der Tür des Frauenzentrums Tirana, wo unser Standort ist. Mit einem Auftreten, das ein Gefälle zwischen der grossen westlichen Medienwelt und dem kleinen albanischen Frauenprojekt demonstriert und etwa ausdrückt: "Liebe Albanerinnen, seid froh, wenn wir überhaupt hier sind." Mir gegenüber wird dann das teilweise brutale Auftreten "moralisch" untermauert: "Wir müssen authentisch sein", oder: "Sie bekommen über uns doch Spendengelder".

Einmal – wir stehen mitten im Piscina-Camp bei Tirana und um uns herum filmen Fernsehkameras in die Zelte, dem einzigen intimen Raum, der den Flüchtlingen geblieben ist, ReporterInnen richten Mikrophone auf müde und blasse Gesichter – platzt Eglantina heraus: "Ich hasse Journalisten." Als ich lache und auf meinen eigenen Beruf verweise, bleibt sie ernst: "Wenn ich hierbei zuschaue, habe ich Zweifel, ob dies noch Menschen sind. Wir versuchen ihnen hier ständig zu erklären, was wir tun, und weshalb bestimmte Dinge in dieser Konfliktsituation nicht möglich sind. Aber das ist ihnen ziemlich egal – sie wollen einfach ihre Story und eine vergewaltigte kosovarische Frau interviewen."

Eglantina hat in den USA studiert und ist mit westlichen Gepflogenheiten vertraut. Sie schüttelt nur noch den Kopf: "Ich habe sie so satt: Wo ist die Frau in ihren Heimatländern, die sich nach einer Vergewaltigung und dem Verlust dessen, was ihre Heimat und Familie war, vor TV-Kameras stellt und erzählt, wie sie vergewaltigt wurde?"

Tatsächlich heisst es danach in den meisten Medienberichten, dass die muslimische Tradition es den Frauen unmöglich machen würde, über das Erlebte zu berichten. Eglantina spottet: "Das liefert dem Zuschauer im Westen wieder ein willkommenes Argument, um Stereotypen, was ‚muslimisch' ist zu zementieren. Wirklich gute Journalisten wären gerade in diesen Situationen viel menschlicher und viel empathischer – sie würden mehr über die Tragödie nachdenken, sie würden sie differenzierter vermitteln, anstatt hier so viel Lärm und Aufregung zu veranstalten."

Anschliessend treffen wir Arben Gugushka, den albanischen Direktor des Lagers. Er sagt: "Den grössten Gefallen, denn die Hilfswerke den Flüchtlingen tun könnten, wäre, sie mal einen Tag hier aus dem Stress herauszuholen und sie in den Wald zu fahren, wo sie mal ein paar Stunden ganz allein sein können."

*Barbara Hofmann betreibt in Verscio/TI das Pressebüro Movimenti, bereist häufig Osteuropa und arbeitet dort mit NGO aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen zusammen.

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