In den letzten Jahrzehnten haben Militärs und PolitikerInnen viel hinzugelernt, was das Informationsmanagement betrifft. Militärische Handlungen und politische Entscheidungen werden publikumsgerecht medial präsentiert und legitimiert, um die Unterstützung der Öffentlichkeit zu sichern. Die JournalistInnen haben demgegenüber viel weniger hinzugelernt, was die Tücken der Kriegsberichterstattung betrifft, resümierte der Publizistikwissenschaftler Ulrich Saxer schon 1995.
Journalistische Routinen versagen, weil Kampfgebiete immer systematischer abgeschottet werden oder umgekehrt massenhaft Bilder via Internet verbreitet werden, deren Authentizität nur schwer abschätzbar ist. Alle Beteiligten setzen massiv Propaganda ein. Journalistische Qualitätsansprüche werden in der Kriegsberichterstattung unter dem Druck rascher Ereignisse und der hohen Gefährlichkeit der Arbeit oft missachtet. Beispiele: Noch nicht bestätigte Informationen müssten als solche gekennzeichnet werden; die Quellenangaben sollten immer möglichst genau sein und widersprüchliche Aussagen verschiedener Quellen sollten herausgestrichen werden; implizite Wertungen im Sprachgebrauch sollten beachtet werden. Gerade letzterer Punkt wurde in den letzten Jahren bei Kriegen oft vernachlässigt. Beschönigende Worte wie "Kollateralschäden" wurden von manchen Medien kommentarlos übernommen. Die Legitimation der Handlungen der einen Partei und die Delegitimation der gegnerischen Partei durch entsprechende Wortwahl beschäftigten auch den Schweizerischen Presserat. Im Kontext des Krieges in Tschetschenien wurde z.B. die Frage aufgeworfen, ob es korrekt sei, die tschetschenischen Kämpfer als "muslimische Rebellen" zu bezeichnen, da dies der Wortlaut war, wie er aus der russischen Quelle der Nachricht stammte.
Kriege werden in dem Medien immer mehr zur Show stilisiert, auf vier Ebenen finden Inszenierungen statt:
1) Inszenierung der Politik: Politische Führungsfiguren inszenieren sich selbst als "starke vertrauenswürdige" Persönlichkeiten. Mimik, Gestik und Pose werden mindestens ebenso stark gewichtet wie die gesprochenen Worte.
2) Inszenierung der Militärs: Eigene Erfolge und Niederlagen respektive Verluste des Gegners werden in Medienkonferenzen und in von den Militärs selbst produzierten News-Sequenzen in hoher Kadenz und mit eloquenten "Moderatoren" in gezieltem Timing an die Öffentlichkeit gebracht.
3) Selbstinszenierung der Medien: Die einzelnen Medien (TV-Sender etc.) präsentieren sich selbst nach dem Motto "Wir sind immer schneller und immer näher dran!" und jagen nach den spektakulärsten Primeurs.
4) Und schliesslich Selbstinszenierung einzelner JournalistInnen: Die KriegsreporterInnen inszenieren sich als selbstlose HeldInnen, die um der exklusiven Nachrichten oder Bilder willen hohe Risiken eingehen. Dass sie dafür auch Selbstzensur betreiben müssen oder anderweitig von Kriegsparteien instrumentalisiert werden, wird unter den Teppich gekehrt.
Betrachten wir abschliessend die Perspektive des Publikums: In Krieg und Krisen wandeln sich die Erwartungen an die Medien. Die allgemeine Orientierungsfunktion kann bei zunehmender Eskalation einem Bedürfnis nach Sicherheit, Verhaltenshinweisen und Verarbeitungshilfen weichen. Bleiben die journalistischen Routinen aber die alten, dann können Medien zu Fehlverhalten der Bevölkerung wie Hamsterkäufen und Panikreaktionen führen. Nachrichtenfaktoren des Boulevardjournalismus wie die sofortige Suche nach Sündenböcken bei Konflikten können dazu führen, dass Konflikte von den MediennutzerInnen in verzerrter Weise wahrgenommen werden. Besonders seit dem Berichterstattungsstil von CNN während des zweiten Golfkrieges verbreitet sich der Trend zur Live-Reportage, wobei die kritische Reflexion dessen, was da abläuft und gezeigt wird, zwangsläufig auf der Strecke bleibt. Statt medialem Aktionismus sollten Hintergründe dargestellt werden, statt Dauerberichten sollten auch Lücken zugelassen und erklärt werden. Journalismus könnte gerade in Krieg und Krisen dazu beitragen, dass die verschiedenen Interessen und Perspektiven aufgedeckt werden, dass durch die Analyse von Hintergründen Verständnis für die Anliegen aller Konfliktparteien geschaffen wird und dass damit Konflikte besser gelöst und verarbeitet werden könnten. Manche Medien tun dies in hoher Qualität (z.B. das "Echo der Zeit" auf SR DRS), andere sind weit davon entfernt (z.B. CNN).
*Daniel Süss ist Medienwissenschaftler und Psychologe FSP. Er arbeitet als Oberassistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich, wo er im Sommersemester 2000 eine Vorlesung zu "Medien, Information und Propaganda im Krieg" gehalten hat.Inhaltsübersicht | nächster Artikel |