"Nichts ist wichtiger als die Erhaltung des Friedens"

Arne Engeli war sieben Jahre lang Länderverantwortlicher für Ex-Jugoslawien beim HEKS. Ende September hat er diese Funktion abgegeben und wird Ende März 2001 offiziell seinen Ruhestand antreten. Höchste Zeit also für die FriZ, den vielseitig Friedensbewegten zu porträtieren.

Das Engagement für Frieden und Gerechtigkeit wurde Arne Engeli vor 65 Jahren beinahe in die Wiege gelegt: "Es begann im Elternhaus. Meine Eltern gehörten zum Umkreis der religiös-sozialen Bewegung. So ist für mich der Gartenhofstrasse 7 eine Adresse, die ich seit meiner Kindheit kenne." Eine Adresse, an die er später oft zurückkehrte. Arne Engeli ist seit langer Zeit Mitglied des Escherbundes, für den er auch sieben Jahre als Bundesleiter tätig war. Aber auch als Präsident des schweizerischen Friedensrates (1992-1997) war er regelmässig im Gartenhof anzutreffen.

Zur friedenspolitischen Prägung durchs Elternhaus gehörte auch der waffenlose Dienst: "Alle Männer in der Familie — meine Brüder und ich — sind den Fussstapfen des Vaters gefolgt und haben das Militär bei der Sanität absolviert. Auch meine Söhne haben den Waffendienst verweigert."

Eine prägende Persönlichkeit in diesem Thurgauer Umfeld war für Arne Engeli Fritz Wartenweiler, der Pionier der schweizerischen Erwachsenenbildung. Dessen Satz "Es gibt nichts wichtigeres als die Erhaltung des Friedens" könnte auch als Motto für Arne Engelis Leben stehen: "In den 80er Jahren erklärte der amerikanische Aussenminister Haig einmal, es gäbe wichtigere Dinge, als in Frieden zu leben. Aber ich komme aus einer Tradition, für die es nichts wichtigeres als den Frieden gibt, wie es Wartenweiler formuliert hat." Etwas, das er auch aufgrund seiner Erfahrungen während der letzten sieben Jahre als Länderbeauftragter des HEKS für Ex-Jugoslawien unterschreiben kann: "Es ist ein zu hoher Preis, den diese Völker bezahlt haben für die gewaltsamen Auseinandersetzungen, von denen sie sich Unabhängigkeit erhofft hatten."

In seine elfjährige Laufbahn als Oberstufenlehrer fällt eine weitere Erinnerung, die Arne Engeli zum Stichwort Friedenspolitik einfällt: "Als ich 1959/60 ein halbes Jahr in Dänemark an einer Volkshochschule verbrachte, erzählte uns ein Lehrer eine Anekdote des dänischen Atomphysikers Niels Bohr: Der Nobelpreisträger überraschte die MitarbeiterInnen seines Instituts in Kopenhagen eines Tages mit der merkwürdigen Frage: ‚Was ist das Gegenteil von Wahrheit?‘ — ‚Die Klarheit!‘ Der verdutzten Runde erklärte er, dass gerade sie als Atomphysiker aufgrund der Quantentheorie wissen müssten, dass man beim Versuch ein scharfes Bild zu erhalten unweigerlich die Bahn der Elektronen beeinflusst. Das heisst, man bekommt zwar ein klares Bild, aber dieses ist nicht das echte, wahre Bild. Analoges gelte auch für die Biologie, wo mit einem Schnitt unter dem Mikroskop zwar ein klares Bild möglich wird, aber gleichzeitig auch ein Teil des Leben abgeschnitten wird." Arne Engeli erklärt: "Man braucht verschiedene Bilder, von unterschiedlicher Helligkeit, aufgenommen von unterschiedlichen Standorten, um ein wahres Bild zu erhalten. Ich denke, das könnte auch für den Streit unter den Philosophien und Religionsgemeinschaften gelten: Kein Bild von sich kann die Wahrheit für sich beanspruchen, sondern erst durch das Betrachten von verschiedenen Bildern kann man erahnen, wo die Wahrheit ist. Wahrheit ist komplementär."

Das mehr als hundertjährige Modell der dänischen Volkshochschule, wo sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten in jeweils sechsmonatigen Kursen zu den unterschiedlichsten Themen begegnen, beeindruckte Arne Engeli nachhaltig. Zusammen mit Fritz Wartenweiler und Eugen Steinemann entwickelte er die Idee en miniature in der Schweiz: 1964 gründeten sie die Schweizer Jugendakademie, die ein Jahr später mit dem ersten sechswöchigen Kurs startete.

Bald darauf hängte Arne Engeli den Lehrerberuf an den Nagel und wechselte an die Universität, wo er in Zürich und Konstanz Politikwissenschaft, Sozialethik, Soziologie und Geschichte studierte und mit einer Magisterarbeit über die "Politische Bildung in der Schweiz" abschloss. Praktisch parallel zum Studium erfolgte auch ein "Aufstieg" in der Politik: Seit 1962 SP-Mitglied, wurde Arne Engeli zunächst Präsident der SP Frauenfeld und 1967 dann in den Thurgauer Kantonsrat gewählt. Nach vier Jahren wechselte er in den Nachbarkanton und vertrat acht weitere Jahre die SP im St. Galler Kantonsparlament.

Grund für den Umzug war 1971 die Wahl Arne Engelis zum Leiter des evangelischen Tagungszentrums Schloss Wartensee. Obwohl in einem religiösen Umfeld aufgewachsen, übernahm er damit erstmals eine offizielle Funktion innerhalb der Kirche — die er während 20 Jahren mit Leib und Seele und immer unter besonderer Berücksichtigung des Themas Frieden ausübte. Eine spezielle Gelegenheit eröffnete sich in der Vorbereitung und Nacharbeit der Europäischen Ökumenischen Versammlung 1989 in Basel zum Bund für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die ihm weltweite Kontakte verschaffte und in der Region St. Gallen-Appenzell noch heute wirksam ist. Die Arbeit auf dem Rorschacherberg verschaffte Arne Engeli auch gute und bleibende Beziehungen zu den Kirchen und Friedensgruppen im damals noch "eisern" abgeschirmten Osteuropa, insbesondere in die DDR; unter anderem erlebte Engeli 1989 den Umbruch in Dresden "live" während einer Wartensee-Studienreise.

1991, nach 20 Jahren, fand Arne Engeli, dass die Zeit reif sei für einen Wechsel. Lange musste er sich nicht nach einer neuen Aufgabe umschauen: Im Herbst des nächsten Jahres reiste er nach Ausbruch der gewaltsamen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien als Mitglied einer ökumenischen Delegation zum katholischen Erzbischof in Zagreb, zum Bischof in Ljubliana und zum orthodoxen Patriarchen in Belgrad: "Wir versuchten die Kirchenleitungen zu beschwören, sich gegen den Krieg und für den Frieden einzusetzen — und kehrten sehr enttäuscht zurück, weil uns der Nationalismus auch in den Kirchen entgegentrat."

In der Folge wurde er vom HEKS für die gerade neugeschaffene Stelle des Länderverantwortlichen für Ex-Jugoslawien angefragt. Die Arbeit dort hat ihn in den vergangenen Jahren oft in den Balkan geführt — und deren Erinnerungen allein den Rahmen dieses Porträts sprengen würden. Erwähnt sei hier nur noch die Aktion "Gemeinden gemeinsam", zu deren MitbegründerInnen Arne Engeli 1992 gehörte.

Auf die Frage, was er denn nach der Pensionierung tun werde, greift Arne Engeli noch einmal auf ein Zitat von Fritz Wartenweiler zurück: "Wir müssen alles tun, um dem Krieg den Garaus zu machen!" Und so wird er in der nächsten Zeit zwar beruflich kürzer treten, nichts desto trotz aber weiterhin friedenspolitisch engagiert bleiben. Zum Beispiel bis im März 2001 noch mit der Erarbeitung eines Friedenskonzeptes beim HEKS. Oder als Mitorganisator der Friedenskonferenz im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen im November dieses Jahres. Und in der Vojvodina steht die Fortsetzung des Friedensseminars zum Thema "Menschenrechte und Menschenwürde" an. Wir werden also auch in Zukunft im Rahmen der Friedenspolitik immer wieder auf den Namen Arne Engeli stossen.

(db)


Inhaltsübersicht nächster Artikel