Überforderte Friedensstifterin

Die Rolle der UNO als Friedensmacht wird seit dem Golfkrieg und seit dem Desaster in Somalia sehr kritisch betrachtet. Dabei beschränkt sich der Blick meist auf die wenigen militärischen Einsätze, die meisten Friedensmissionen finden jedoch auf friedliche Art statt. Ob wir nun für oder gegen militärische Einsätze von UNO-Truppen sind: Die Diskussion um die Rolle der UNO als Friedensstifterin (oder eben vielmehr Friedenserhalterin) darf sich nicht auf die militärischen Ausnahmen beschränken. Einige Facts und Figures.

Von Manuela Reimann

Die Vereinten Nationen entsandten erstmals im Jahr 1948 militärische Beobachter, und zwar nach Palästina. Dieser ersten UNO-Operation folgte bald eine Vielzahl anderer, anfangs meist in Form unbewaffneter Militärbeobachter. Mit der Stationierung von ersten Truppen zur Überwachung des Waffenstillstandes nach der Suezkrise 1956 begannen die eigentlichen UNO-Einsätze unter dem Titel "peacekeeping". Sie stützen sich auf Kapitel VI der Charta, die für die "friedliche Beilegung von Streitigkeiten" strikte Neutralität und Unparteilichkeit der beteiligten Friedenstruppen sowie die Zustimmung aller Konfliktparteien voraussetzt. Die SoldatInnen dürfen dabei Waffengewalt nur als letztes Mittel zur Selbstverteidigung anwenden.

Sichern eines labilen Friedensbeginns

UNO-Friedenstruppen wurden in Konfliktgebieten meist in den Pufferzonen zwischen den verfeindeten Gebieten zur Überwachung von Waffenstillständen stationiert und sind durch die blauen Helme mit UNO-Abzeichen erkennbar. Klassische Beispiele sind Zypern sowie die Golanhöhen zwischen Syrien und Israel. Die friedenserhaltenden Massnahmen werden in der Regel durch den Sicherheitsrat beschlossen1, da bei ihm – gemäss Charta – die Hauptverantwortung für die Sicherung des Friedens liegt; in Ausnahmefällen kann aber auch die Generalversammlung solche Einsätze beschliessen. Jedes der fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates (China, Frankreich, Russland, Grossbritannien und die USA) kann gegen Entscheidungen für Peacekeeping-Einsätze sein Veto einlegen. Der Sicherheitsrat entscheidet über die Grösse der Operation, die Einsatzziele und die Zeitspanne. Da die UNO keine eigenen Truppen hat, entscheiden die Mitgliedstaaten, ob sie an einer Mission teilnehmen und wieviel Personal und Ausrüstung sie dafür bereitstellen. Dem Generalsekretär/der Generalsekretärin obliegt die Umsetzung der politischen Direktiven in aktiven Friedensmissionen und die Einsatzführung. Es gibt hierzu eine spezielle Abteilung, das Department of Peacekeeping Operations; ausserdem ernennt der Generalsekretär (die Generalsekretärin) eineN SonderbeauftragteN (Special Representative of the Secretary General) an die Spitze der Mission. Die Kommandogewalt dieser Führungselite wird jedoch durch "Extra-Wünsche" der beteiligten Staaten eingeschränkt, was immer wieder zu Koordinationsproblemen führt.

Immer mehr Aufgaben

Die jüngeren friedenserhaltenden Missionen – die häufigste Form von UNO-Einsätzen – operieren heute meist innerhalb eines Staates. Ihre Aufgabe wurde stark ausgebaut: Unter dem Ziel, Gewalt einzudämmen und die Ordnung wiederherzustellen, kümmern sie sich um Flüchtlinge, den Wiederaufbau, die Einhaltung der Menschenrechte, die Entwaffnung und Unterbringung der ehemaligen SoldatInnen, die Minenräumung und die Ausbildung der lokalen Kräfte hierzu, die zivile Polizeiarbeit sowie um die Vorbereitung und Überwachung von Wahlen.

Zwischen 1948 und heute gab es insgesamt 53 UNO-Friedensmissionen, davon sind 14 Missionen noch aktiv. 36 Peace-Keeping-Operationen fanden alleine im Jahrzehnt zwischen 1988 und 1998 statt. Der Höhepunkt lag im Jahr 1993, als die UNO insgesamt 80 000 militärische und zivile PeacekeeperInnen aus 77 Nationen im Einsatz hatte. Bislang waren ungefähr 800 000 Blauhelme im Einsatz, die Gesamtkosten der UNO für alle Friedenstruppen liegen bei ca. 18 Milliarden US-Dollar.2 Rund 1600 UNO-Peace-keeping-MitarbeiterInnen sind bei solchen Einsätzen bislang ums Leben gekommen.

Gegenwärtig diskutiert der Sicherheitsrat darüber, ob er eine neue Mission nach Eritrea schicken will.

Die Mehrheit der Friedensmissionen der UNO war recht erfolgreich. Viele Fehlschläge entstanden durch unklare Aufträge, Machtspiele der beteiligten Staaten, das Blockieren von Reformen durch die Mitglieder – aber auch durch Ineffizienz und einem Mangel an Demokratischen Strukturen und Demokratieverständnis3. Dazu kommt das Fehlen der finanziellen und personellen Mittel, die für umfassende, nachhaltige und gewaltfreie Einsätze nötig wären.

Eine neue Form der UNO-Friedensarbeit?

Die Einsätze der UNO waren bis zum Schlamassel in Somalia 1993 – die Mission lief unter dem Titel "Restore Hope" – Aktionen ohne Anwendung von Waffengewalt. Erst in Somalia wurde wie später auch im ehemaligen Jugoslawien das Konzept der Friedenserzwingung (peace-enforcement, siehe Artikel "Agenda für den Frieden") durchgesetzt und der Grundsatz der gewaltfreien Intervention durchbrochen4. Die Operationen in Somalia, Ex-Jugoslawien und Kambodscha wurden denn auch vom Sicherheitsrat mit der Feststellung einer "Bedrohung des Friedens" begründet und nicht mit der klassischen Absicht der "Friedlichen Beilegung".

Dabei gibt es keine klare völkerrechtliche Bestimmung über die verschiedenen Formen von militärischen Einsätzen: In der UNO-Charta (Artikel 42, Kapitel VII) finden sich höchstens die Voraussetzungen für "Kampfeinsätze"5, die bisherigen Einsätze mit Waffengebrauch hatten denn auch keinen "Kampfauftrag" des Sicherheitsrats.

Auch der Einsatz gegen den Irak 1991 war keine eigentliche UNO-Mission. In diesem zweiten Golfkrieg zog es der Sicherheitsrat vielmehr vor, den Mitgliedsstaaten zu erlauben, im eigenen Namen – nicht im Namen der UNO! – Massnahmen zu ergreifen, nachdem er in der Resolution 660 vom 2. August 1990 festgestellt hatte, dass die Besetzung Kuwaits durch irakische Truppen eine Angriffsshandlung darstelle und den Frieden breche. Die Mitgliedstaaten wurden dann allerdings in einer weiteren Resolution vom 29. November 1990 ermächtigt, "alle erforderlichen Mittel einzusetzen", sollte sich der Irak bis zum 15. Januar 1991 nicht aus Kuwait zurückgezogen haben. Die Angriffe gegen den Irak wurden schliesslich von einer Allianz nationaler Streitkräfte unter Leitung der USA ausgeführt.

Während Boutros-Ghali in der Agenda für den Frieden noch ständige Streitkräfte forderte, die von den Mitgliedsstaaten zur Durchführung auch militärischer Massnahmen zur Verfügung gestellt werden sollen, trat mittlerweile wieder eine Ernüchterung ein: die negativen Erfahrungen in Somalia, die fehlenden Mittel und der Unwille der meisten Mitgliedsstaaten, sich mit einem solchen Projekt die Finger zu verbrennen, führten dazu, dass sich die UNO heute wieder eher auf das Machbare beschränkt. So ist die Zahl der Blauhelme bis Mitte 1999 auf rund 12 000 zurückgegangen.6

Ob militärische Koalitionen von Mitgliedstaaten zur Intervention für die Friedenserzwingung mit Absegnung durch den UNO-Sicherheitsrat die Zukunft dominieren werden, hängt weniger von der UNO als von den Mitgliedstaaten (und insbesondere von der Zusammensetzung des Sicherheitsrates) ab.

1 Die Ausnahme war der Einsatz in Korea 1950, der zuerst von der Generalversammlung bewilligt und danach vom Sicherheitsrat bestätigt wurde.
2 Manfred Eisele: "Friedenstruppen". Lexikon der Vereinten Nationen. Hrg. Volger, Helmut. München: Oldenbourg, 2000. Allgemeine Informationen zur UNO-Peacekeeping-Arbeit findet sich auf der UNO-homepage: www.un.org/peace
3 Seit 1995 gibt es im Department of Peacekeeping Operations eine Einheit, deren Aufgabe es ist, Lehren aus den bisherigen Einsätzen zu ziehen, die "Lessons Learned Unit". Gegenwärtig werden die Einsätze der folgenden Missionen analysiert: Die UNPROFOR in Ex-Jugoslawien und die UNAVEM in Angola. Infos: www.un.org/Depts/dpko/lessons.
4 Die Mission in Somalia kam aufgrund einer Initiative der USA zustande. Hier galt es aber nicht, einen Waffenstillstand zu überwachen, und die Konfliktparteien waren von einer Friedensabsicht weit entfernt. Die UNO-Truppen sollten in erster Linie die hungernde Zivilbevölkerung militärisch schützen – was auch recht gut gelang. Der Versuch jedoch, die Kriegsgesellschaft in einen demokratischen Staat zu führen, scheiterte kläglich. 18 amerikanische Soldaten starben in einer amerikanischen Aktion, was in den USA zu Protesten gegen jegliche weiteren friedenserhaltenden Massnahmen unter UNO-Flagge führte.
5 Zumach, Andreas: Vereinte Nationen. Rororo spezial. Reinbek: Rowohlt, 1995. S.77
6 Schmidl. Erwin A. Friedensoperationen. In: Lexikon der Vereinten Nationen. Hrg. Volger, Helmut. München: Oldenbourg, 2000.

Grafik Peacekeeping-Ausgaben 1947 - 1997

Peacekeeping-Missionen

 

UNO-Mission

Kosten (US-Dollar)*

Einsatzort

 

 

 

UNFICYP

45,6 Mio

Zypern

UNDOF

35,3 Mio

Beobachtertruppen

UNIFIL

148,9 Mio

Libanon

MONUA

7,4 Mio

Angola

UNIKOM

53,9 Mio

Irak

MINURCA

33,3 Mio

Zentralafrikanische Republik

MINURSO

52,1 Mio

Westsahara

MIPONUH

18,6 Mio

Haiti

UNOMIG

31,0 Mio

Georgien

UNMOT

18,6 Mio

Tadschikistan

UNMIBH

178,2 Mio

Bosnien-Herzegowina

UNPREDEP

0,1 Mio

UNO-Präventiv-Einsatztruppe

UNOMIL

3,8 Mio

Sierra Leone

UNOMSIL/UNAMSIL

200,0 Mio

Sierra Leone

UNMIK

427,0 Mio

Kosov@

UNTAET

200,0 Mio*

Ost-Timor

*Von der UNO-Generalversammlung gesprochene Beträge für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum 30. Juni 2000. Die Summe für den Ost-Timor-Einsatz (UNTAET) ist provisorisch.

Quelle: Global Policy/Michael Renner/UN Dokumente


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