Schäden am Anfang der Pipeline

Nebst dem sogenannten Treibhauseffekt, der durch die Verbrennung fossiler Energieträger entsteht (siehe FriZ Nr. 3/99), hat die Förderung und Nutzung von Erdöl und -gas viele weitere Umweltschäden zur Folge. Ein Einblick in die Hauptprobleme, welche das schwarze Gold bei seiner Gewinnung verursacht.(1)

Von Sabine Ziegler*

Von der Erdöl- und Erdgasexploration bis zum Zeitpunkt, zu dem das geförderte Erdöl und Erdgas in grosse Schiffe gepumpt wird, fallen teilweise massive Schäden für Umwelt und Mensch an. Diese nicht erneuerbaren Ressourcen werden nämlich nicht in irgendeiner wüstenartigen Umgebung fern von umweltspezifischen Bedenken gefördert, sondern zunehmend auch in tropischen, arktischen und subarktischen Gebieten. Die durch die Erdöl- und Erdgasförderung verursachten Probleme sind sehr unterschiedlich, je nach den natürlichen Umweltbedingungen und unterschiedlichen Weisen, wie sich die lokalen Bevölkerungen an die Umwelt angepasst haben. Die Ausmasse der Probleme werden meist erst im Zusammenhang mit den Wechselwirkungen zwischen belebter und unbelebter Umwelt vor Ort ersichtlich.

Verschiedene Umwelten

Ein Ökosystem kann von innen oder durch äussere Einflüsse verändert oder gestört werden. Bei der Beurteilung einer Störung ist das Konzept des sogenannten Fliess-gleichgewichtes wesentlich, um das Aus-mass der Störung zu beurteilen. Ein Gleichgewicht ist dann gegeben, wenn sich in einem Ökosystem nicht mehr viel verändern kann, oder wenn die Veränderungen nur gering sind.(2)

In der Untersuchung der Ökosysteme müssen verschiedene Einflussfaktoren betrachtet werden, welche die Widerstands-fähigkeit des Systems gegenüber Störungen (3) stärken oder schwächen können. Die- se Faktoren beeinflussen sich gegenseitig und müssen daher bei ihrem Einfluss auf das Ökosystem in ihren gegenseitigen Wechselwirkungen betrachtet werden. Beachtet werden müssen Klima und Wasserhaushalt, Vegetationsaktivitäten und -decke, Bodenbildungsprozesse und Topographie, welche Aufschluss über die statt-findenen Stoffkreisläufe im System und die vorhandene biologische Vielfalt geben. Im Fall der Umweltprobleme verursacht durch die Erdölförderung ist es beispielsweise von Bedeutung zu wissen, ob viel intensiver Niederschlag vorhanden ist, wodurch im Falle eines Lecks die Verschmutzung viel schneller als in einem trockenen Ökosystem in Umlauf gebracht wird und in die Nahrungsketten gerät. Ebenfalls beachtet werden muss, wie die Bodenbeschaffenheit ist, denn inwiefern Schadstoffe akkumuliert werden, hängt von der Dicke der Humusschicht des Bodens sowie von der vorherrschenden Temperatur ab.

Ein Liter verschüttetes Erdöl hat in Alaska somit eine völlig andere Bedeutung als in einem tropischen Regenwaldökosystem.

Von Anfang an umweltbelastend

Der Erdöl- und Erdgasförderungsprozess besteht aus einer Serie von Teilschritten. Umweltbeeinträchtigungen setzen bereits viel früher ein als bei den bekannten Öl-tankerunfällen, die das marine Leben und ganze Küstenstriche verwüsten können.(4)

Der erste Schritt bei der Erdölförderung besteht meist aus seismischen und magnetischen Messungen. In dieser ersten Phase werden in regelmässigen Abständen von 5 bis 10 Metern tiefe Löcher gebohrt, in denen kleine Sprengstoffladungen zur Detonation gebracht werden. Gleichzeitig wird ein Strassennetz errichtet und Heli-kopterlandeplätze gebaut. Dazu werden erhebliche Waldflächen gerodet (Ecuador, Papua-Neuguinea, West-Sibirien). Rodungen in Gebieten mit tropischem Regenwald (Amazonien und Papua-Neuguinea) können tiefgreifende Folgen nach sich ziehen, da diese Gebiete sensible Böden besitzen, die von Erosion gefährdet sind. Ausserdem wird das Grosswild wegen der Vibrations- und Lärmemissionen in abgelegenere Gebiete vertrieben. Diese Phase kann sich über mehrere Jahre erstrecken, weshalb die Tiere mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr zurückkehren.(5)

Wirtschaftlich aussichtsreiche Gebiete werden mit Probebohrungen überprüft. Für die zur Stabiliserung nötigen Zementfül-lungen wird Wasser benötigt, welches den umliegenden Flüssen entnommen wird. Die Folge ist oft eine Niveauabsenkung oder die Austrocknung dieser Wasserläufe.

Erweist sich ein Gebiet als ertragreich, werden Bohrungen im Abstand zwischen 500 und 2000 Metern voneinander durchgeführt. Ist der Förderdruck zu gering, so muss das Nachfliessen durch Einpressen von zusätzlichem Wasser und von Chemikalien (oder Gas) unterstützt werden. Auch der Einsatz von Salzsäure ist üblich, vor allem dort, wo kalkhaltiges Reservoirgestein vorherrscht. Hier wird unter Druck Salzsäure eingepresst, um die Porosität zu erhöhen.

Bei der Exploration werden erhebliche Mengen Bohrlochflüssigkeit eingeleitet. Sie dient zum Kühlen und Schmieren der Bohrstangen, zum Aufbau eines undurchlässigen Filterkuchens an der offenen Bohrwand, zur Kontrolle des Drucks unter der Oberfläche und zum Transport von Sand und Bohrklein an die Oberfläche. Diese Spülungen beruhen entweder auf einer wässrigen oder auf einer öligen Basis. Je nach Tiefe oder nach Fördergebiet wird entweder der eine oder der andere Flüssig-keitstyp eingeleitet. Zusatzstoffe zur Begrenzung des Flüssigkeitsverlusts verwandeln den Schlamm in einen Salzwasser- schlamm. Dieser wird fortlaufend ins Meer oder in Schlammgruben eingeleitet. Dazu kommen viele weitere chemische Einträge, die zum Teil erhöht toxisch sind. Da in Gebieten mit hohen Niederschlagsmengen die Auffangkapazitäten der Rückhaltebecken oft ungenügend dimensioniert sind, laufen sie häufig über — die Folge sind Einträge giftiger Substanzen in die Böden oder in die Gewässer, was Mensch und Tier gefährdet, so beispielsweise in Ecuadors Regenwaldgebieten und in der Tundra und Taiga West-Sibiriens, wo teilweise bereits ganze Flusssysteme wie der Fluss Ob und seine Zuflüsse tot sind.

Abfackelung

Öl- und Gasvorkommen sind meistens von Solewasser begleitet. Dieses sogenannte Formationswasser wird vom Öl und Gas abgetrennt und in Küstengebieten häufig einfach ins Meer, ins Oberflächenwasser oder ebenfalls in Auffangbecken für die Bohrlochflüssigkeit geleitet.(6) Dadurch wird die Wasserversorgung in diesen Gebieten massiv gefährdet, insbesondere dort, wo die Menschen ihr Trink-, Koch- und Badewasser direkt aus der unmittelbaren Umwelt beziehen. Ebenso besteht das Problem, dass die giftigen Substanzen in die Nahrungsketten eindringen, indem beispielsweise Fische und andere Wassertiere, die die Menschen essen, vergiftet sind.

Bei abgelegenen Bohrungen und wo kein Markt für Erdgas existiert, wird das Gas abgefackelt. Dies erhöht die Temperatur der Umgebung und kann in nördlichen Fördergebieten zur Schmelzung der Per-mafrostböden führen. In Gebieten mit hohem Schwefelgehalt im Erdgas kann die Verbrennung besonders umweltschädi-gend sein. Bei der Verbrennung wird nämlich ausser Russ und CO2 auch SO (2) freigesetzt, das in Kombination mit Wasser Schwefelsäure als Bestandteil des sauren Regens bildet. Russ kann sehr toxische Substanzen, wie Schwermetalle, partikulär binden, so dass die Bodenfruchtbarkeit gemindert wird. In Gebieten, wie in West-Sibirien, wo der Russ sich auf die Weidegebiete legt, werden die Nutztiere der lokalen Bevölkerung (hier Rentiere) dadurch vergiftetet. Die Russwolken filtrieren aus-serdem das Licht, die Temperaturen sinken, und die Vegetation wird gehemmt. Staub und Russ können bei Mensch und Tier Atemwegserkrankungen verursachen: Nebst Bronchitis, Asthma und Lungenfi-brose schwächt die Dauerbelastung der Atemwege das Immunsystem. Angesichts der hohen abgefackelten Mengen von etwa 272m3 Erdgas pro Kubikmeter Erdöl sind die Schäden an Flora, Böden, Tieren und Menschen beträchtlich. Es wird jedoch nicht in allen Gebieten Erdgas bei der Ölbohrung freigesetzt. Umgekehrt existieren Gebiete mit reinen Gasvorkommen.

Unkontrollierte Immigration und Ressourcenraub

Je nach Dauer der Ölförderung werden unterschiedliche Begleitstrukturen errichtet. Für die Arbeiter werden halbperma-nente Siedlungen aus meist vorfabrizierten Wohneinheiten gebaut. Bei einer länger dauernden Niederlassung kommen Läden, Schulen und kulturelle Infrastrukturen dazu. Die Arbeiter werden zu Siedlern und nutzen das Land direkt oder indirekt durch Verträge mit der indigenen Lokalbevölke-rung für die Zulieferung von Nahrungs-mitteln. Die Arbeiter und die Immigranten gehen aber auch selbst auf die Jagd, wo- durch der Wildbestand für die Lokalbevöl-kerung reduziert wird. Ein weiteres Problem der Besiedlung besteht in den grossen Mengen von Siedlungsabfall, der nicht sachgemäss entsorgt wird. Auch der Wasserhaushalt wird durch erhöhten Phosphat- und Tensidgehalt aus Seifen und Waschmitteln verändert. All diese Einflüsse, die mit dem Übergang vom Arbeiter auf der Plattform zum (halb)permanenten Siedler einhergehen, können verheerende Folgen für die indigene Bevölkerung nach sich ziehen. Für die permanente Besiedlung mit weiteren Menschen, die ebenfalls einen Anspruch auf Land und Boden erheben, reichen die Siedlungsflächen nicht aus — Konflikte werden so vorprogrammiert.

Eine weitere Begleiterscheinung ist die sekundäre Bewirtschaftung. Mit der erhöhten Einwanderung von Personen werden ganze Erwerbszweige eingeführt. In Papua-Neuguinea zum Beispiel hat das neue, für die Ölförderung erstellte Strassennetz Holzkonzerne angelockt, die nun Edelhölzer gewinnen wollen. Ebenfalls dringen auf den Strassen der Erdölkonzerne vermehrt SiedlerInnen ins Gebiet indigener Völker und machen diesen das Land streitig. Zusätzlich werden neue Krankheiten eingeschleppt, und die indigene Lokalbevölke-rung wird einem schnellen forcierten Kulturwandel ausgesetzt und marginalisiert (Ecuador, Peru, Papua-Neuguinea, West-Sibirien).

Überall Lecks

Ein grosser Teil des ausgelaufenen Erdöls geht auf Korrosionsschäden, Rohrbrüche und auf den Betrieb von veralteten Anlagen zurück. Die unabhängige ´Cutter Information Corporationª kam zum Ergeb-nis, dass zwischen 1982 und 1992 allein aus den Piplines des Konzerns Shell bei den Ogoni in Nigeria über 1,6 Milliarden Barrel Öl in Erdreich und Flüsse gesickert seien.7 Laut dem Filmautor Glenn Ellis habe es zwischen 1976 bis 1991 2976 Leckagen im Ogoni-Gebiet gegeben. Bei zahllosen Unfällen sollen insgesamt 2,1 Mio. Barrel Erdöl (1 Barrel umfasst 159 Liter Erdöl) ausgelaufen sein.8 Viele der defekten Piplines und Förderstellen sind auch in den 90er Jahren nicht repariert worden. Eine ähnliche Problematik lässt sich in Westsibirien feststellen, wo das Investitionskapital für Bohrlochsanierungen fehlt.

Zurückgelassene Fördergebiete

Beim Verlassen eines Ölfördergebiets sind verschiedene Sanierungsarbeiten erforderlich. Sie betreffen einerseits die direkten förderungsbedingten Strukturen (Abbau der Öltürme, Schliessen der Bohrlöcher, Sanierung der Flüssigkeiten in Rückhaltebecken etc.), andererseits müssen die Infrastrukturen (Strassen und Häuser) abgebaut werden.

Als drittes sind Umweltsanierungen, wie Gewässerreinigungen, Aufforstungen und landschaftliche Renaturierungen, vorzunehmen. Mit zunehmender Dauer der Förderung wird ein solcher Rückbau fast unmöglich. Die Erdöl- und Erdgasförderung beeinträchtigt auf verschiedenen Ebenen die natürliche Umwelt und damit auch die Lebensgrundlagen der indigenen Völker. Eine zentrale Forderung an die Produzenten muss der absolute Stopp von Immissionen sein. Dies wird aber erst mit der Einführung international gültiger Rahmenbe- dingungen zustande kommen. In Frage kommt nebst einer Umweltsteuer auch ein Moratorium für die Förderung in sensiblen Ökosystemen der Entwicklungsländer, die teilweise kleine Reserven aufweisen.

Wie lange es dauern wird, bis auf auf internationaler Ebene ein Umweltsteuer-system etabliert wird, so dass der wahre Preis fossiler Ressourcen deutlich wird, ist unklar. Die ´World Conservation Unionª IUCN und das ´Oil Industry International Exploration and Production Forumª (E & P Forum) beispielsweise haben in zwei Publikationen Richtlinien für diverse Ökosy-stemtypen geschaffen, in welchen sie differenzierte Massnahmen zum Schutz die- ser Gebiete bei einer Förderung aufzeigen.(9) Die Erdölförderung in den USA und in den europäischen Ländern beweisen, dass solche Richtlinien auch umgesetzt werden können, sofern sie überwacht werden und sofern die Konzerne in diesen Gebieten einem hohen Legitimationsdruck ausgesetzt sind. Um dieses Ziel auch in den anderen Gebieten zu erreichen, müssen sich eine sensibilisierte Öffentlichkeit und die NGO bei den Erdölkonzernen Gehör verschaffen und den Druck auf die Konzerne aufrechterhalten.


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