Was ist Ihre Identität? Wenn Sie sich eine Identitätskarte ausstellen lassen, müssen Sie Ihren Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren BürgerInnenort, Ihre Grösse und Augenfarbe angeben. Dies sind offiziell die unverwechselbaren Merkmale Ihrer Einmaligkeit, Ihrer Identität. Bei Asylsuchenden ist das anders: Als Bestandteil ihrer Identität wird neben den üblichen Personalien noch die ´Ethnieª erfragt. Welche Angabe, liebe LeserInnen, würden sie auf eine solche Frage machen? Von Asylsuchenden wird erwartet, dass sie sich eindeutig einer ´ethnischen Gruppeª zuordnen. Wer sich nicht korrekt deklariert, verheimlicht seine Identität.
Von Anni Lanz*
Die Identität von Asylsuchenden besteht in erster Linie aus Ausweisen, die es der Schweiz erlauben, sie in ihren Herkunftsstaat abzuschieben. Denn ohne Identitätspapiere weigern sich viele Herkunftsländer, die angeblichen Staatsangehörigen zurückzunehmen.
Bei Asylsuchenden sind andere Identitätsmerkmale, wie die Ausbildung, der Beruf, die Familienstruktur etc. unwichtig. Wer keine Papiere hat, besitzt keine Identität. Punkt. So jedenfalls sieht es die behördliche Arbeitsgruppe ´Finanzierung Asylwesenª in ihrem Bericht ´Individuelle und institutionelle Anreize im Asylbereichª 1 vom 9. März 2000.
Die ´Papierfrageª stand bereits während der Debatte über die Einführung von Zwangsmassnahmen und bei der letzten Asylgesetzrevision im Zentrum2; sie wird auch ein wichtiges Thema bei der Revision des Ausländerrechts bleiben, welche im Juni in die Vernehmlassung geht. Es war ja schon bei der letzten Asylrevision klar: die Beschleunigung der Asylverfahren für Papierlose führt nicht dazu, dass diese sich schneller ´ausschaffenª lassen. Dennoch wird in derselben Logik weiter verschärft, was dazu führt, das Asylsuchende immer rechtloser, ausgegrenzter und zunehmend entmündigt werden. Die nächste Asylgesetzrevision steht bevor.
Gemäss den Vorschlägen der behördlichen Arbeitsgruppe ´Finanzierung Asylwesenª sollen ´Personen ohne Identitätª während der ganzen Verfahrensdauer in Kollektivunterkünften wohnen müssen, welche von den Behörden leichter kontrolliert werden können. Sie sollen auch keine Arbeitsbewilligung erhalten.3
Doch mit dem Verbot zu arbeiten und in einer eigenen Wohnung zu leben sind die ´negativen Anreizeª noch nicht erschöpft. Eine ´Abschiebung in die Anonymitätª erwägt die Arbeitsgruppe für diejenigen, welchen die Behörden fehlende Mitwirkung vorwerfen. Dies heisst: die Leistungen an die Betroffenen werden dermassen eingeschränkt, dass manche es bevorzugen werden, unterzutauchen.
In der medizinischen Versorgung zieht die Arbeitsgruppe unter anderem eine Einschränkung für alle Asylsuchenden, Schutzsuchenden und vorläufig Aufgenommenen in Betracht: medizinische Leistungen könnten nur noch bei akuten Erkrankungen erbracht werden. Die Einspa- rungen bei der medizinischen Versorgung von Asylsuchenden würde eine besonders verletzliche Gruppe treffen, da gerade Menschen mit Gewalterlebnissen und Menschen aus Ländern mit menschenunwürdigen Verhältnissen häufig eine physisch und psychisch schlechte Konstitution aufweisen.
Eine erneute Beschleunigung des Asylver-fahrens wird bereits seit einiger Zeit, vor allem an der Empfangsstelle Basel praktiziert. Seit März 1999 werden an der Empfangsstelle Basel die Asylbefragungen vom Bund direkt in der Empfangsstelle durchgeführt. Ziel ist es, nach Möglichkeit das ganze Asylverfahren in den Empfangsstellen durchzuführen und möglichst viele Nichteintretensentscheide zu fällen. Immer mehr Asylsuchende können somit die Empfangsstelle nicht mehr verlassen, denn sie werden vom Gesuch bis zur Wegweisung in dieser gut kontrollierbaren Kollektivunterkunft zurückgehalten. Ab 1. Juni 2000 werden voraussichtlich an sämtlichen Empfangsstellen und im Transitzentrum Altstätten/SG entsprechende Beschleunigungs-Projekte durchgeführt.
Diese ´beschleunigten Verfahrenª wurden nicht nur von der bürgerlichen Seite, sondern auch von der Schweizerischen Flücht-lingshilfe SFH begrüsst, als an einer Pressekonferenz der Eidgenössischen Kommis- sion für Flüchtlingsfragen vom 15. Februar 2000 die Absicht präsentiert wurde, ´durch geeignete strukturelle und organisatorische Massnahmenª die durchschnittliche maximale Verfahrensdauer auf sechs Monate zu senken.4 Zwar warf der Direktor des Bundesamtes für Flüchtlinge ein, dass auch diese Beschleunigung die ´Papier- und Wegweisungsfrageª nicht lösen werde, denn ohne Identitäts- und Her-kunftsnachweis liessen sich Wegweisung-en, unabhängig von der Verfahrensdauer, nicht vollziehen. Doch die Medien griffen die Ankündigung, dass nun Asylverfahren innerhalb so kurzer Zeit erledigt werden können, begierig auf. Organisationen, welche die Interessen der asylsuchenden Flüchtlinge vertreten, stehen damit vor unüberwindbaren Problemen: Wie können unter den neuen Bedingungen wenigstens die minimalsten Rechte der Asylsuchenden verteidigt werden?
Im letzten Sommer begleitete ich Frau X auf die Empfangsstelle Basel. Ich kannte ihre Fluchtgeschichte nur punktuell und hoffte, mehr darüber an den Befragungen zu erfahren. Da ich mich mit Frau X kaum verständigen konnte, war es mir auch nicht möglich, auf der Reise nach Basel eingehende Fragen zu stellen. Einige Tage nach der ersten Kurzbefragung erhielt Frau X die Vorladung zur einlässlichen Anhörung, ebenfalls in der Empfangsstelle. Es war eine Nichteintretensbefragung im Rahmen des Beschleunigungs-Projektes. Die eigentlichen Asylgründe kamen auch dort nicht zur Sprache. Das männliche Befragerteam hatte kein Gehör für die Bedrängnis von Frau X. Einige Tage später traf der Nichteintretensentscheid ein und ich musste binnen 24 Stunden eine Eingabe bei der Asylrekurskommission machen. Erst danach durfte Frau X die Empfangsstelle verlassen. Ich suchte mit ihr und einer freiwilligen Dolmetscherin, die nicht leicht zu finden war, eine Psychiaterin und eine Ethnologin auf. Dort kam zum Vorschein, was ich geahnt hatte: die Frau war vor frauenspezifischer Verfolgung geflohen. Die Gutachten, welche die an der Befragung nicht erfragten Gewalterfahrungen von Frau X thematisierten, mussten wir selbst bezahlen. Hätte Frau X nicht Hilfe von Freiwilligen erhalten, wäre sie von der Empfangsstelle aus abgeschoben worden.
Was ich mit Frau X erlebte, ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: Immer mehr Asylsuchende sollen ihr Asylverfahren in den für UnterstützerInnen schwer zugänglichen Empfangsstellen (und Bundestransitzentren) absolvieren. Die persönliche Freiheit wird durch die strenge Betriebsordnung dermassen eingeschränkt, dass es Asylsuchenden kaum möglich ist, Hilfe und Rechtsbeistand innerhalb nützlicher Zeit ausfindig zu machen. Denn auf sich allein gestellt, gelingt es Asylsuchenden kaum, innerhalb von 24 Stunden ein in einer Amtssprache verfasstes, begründetes Gesuch um aufschiebende Wirkung der Wegweisung zu stellen. Also muss sich die Hilfe und der Rechtsbeistand zu den Empfangsstellen begeben. Aber wie?
Es müssen Freiwillige mobilisiert werden, die Mandate für Asylsuchende in den Empfangsstellen übernehmen. 5 Wie können sie Kontakt mit den Asylsuchenden in der Empfangsstelle aufnehmen, wo doch der Zutritt nur einem engen Angehörigenkreis vorbehalten ist? Die SFH will Anlaufstellen vor den Empfangsstellen aus- und, wo sie nicht vorhanden sind, aufbauen. Nur, wo sind die zahlreichen freiwilligen Mandatäre und Mandatärinnen zu finden, die Asylsuchende durch die beschleunigten Asylverfahren begleiten? Die bereit sind, sich kurzfristig für eine Anhörung aufbieten zu lassen, und die innert kürzester Fristen die notwendigen Eingaben machen? Dass ´faireª Asylverfahren nur noch unter dem Totaleinsatz von Freiwilligen aufrechterhalten werden können, ist eine rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeit.
Und trotzdem: Die Folgen dieser Ungeheuerlichkeit haben Asylsuchende zu tragen und allenfalls mit einer Abschiebung in eine gefährliche Situation zu bezahlen. Dass es uns, trotz Widerstand, nicht gelingt, einen Rechtsabbau zu verhindern, entbindet uns nicht von der Mitverantwortung für die Rechtlosen. Hundert freiwillige MandatärInnen wären schon genug, um jährlich Dutzende folgenschwere Fehlentscheide zu verhindern
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