H2>Totalausverkauf der Schweizer Rüstungsindustrie

Mehr als die Hälfte der Rüstungsarbeitsplätze in der Schweiz sind in den letzten zehn Jahren verschwunden. Jetzt steht auch bald die letzte einheimische Waffenfirma vor dem Ausverkauf

Von Toni Bernet*

"…dabei soll in der Schweiz eine an die Bedürfnisse ihrer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechterhalten werden können." Diesen Satz im Zweckartikel des erst seit zwei Jahren gültigen Waffenausfuhrgesetzes hatte die Rüstungslobby im Parlament noch mit Händen und Füssen verteidigt. In der Zwischenzeit ist er nicht nur sach- sondern auch realitätsfremd geworden: Der Abbau der Rüstungsproduktion geht zügig voran, ohne dass sinnvolle Schritte zur Umstellung auf die Herstellung ziviler Güter getan werden. Und gleich ganze Firmen werden in internationale Konzerne eingegliedert, sprich dem Meistbietenden verhökert. Der Heimatschutzartikel im Kriegsmaterialgesetz wird die schweizerische Rüstungsproduktion nicht retten, er droht eher zum Schutzmantel für anonyme Zuliefergeschäfte an Rüstungsprojekte und für Maklerfirmen im internationalen Waffenhandel zu werden.

SIG: Aus für Schweizer Sturmgewehr

Die Schweizerische Industriegesellschaft SIG will sich von ihrer Gewehrproduktion trennen. Dies kündigte der neue Konzernchef Roman Boutellier an. Wenn die Produktion des Sturmgewehrauftrags für die Schweizer Armee dieses Jahr ausgelaufen sein wird, dürfte eine Epoche der helvetischen Waffengeschichte zu Ende sein: Der Firmenbereich SIG Arms wird von einem Gewehrkonzern wie zum Beispiel der deutschen Heckler & Koch aufgekauft werden, die Schweizer Sturmgewehre – bisher in über 50 Länder verkauft – werden vom Weltmarkt verschwinden. Nur die Mühsal, die Hunderttausenden von Waffen wieder loszuwerden, wird den Menschen in Konfliktgebieten noch bleiben.

Pilatus: Drastischer Arbeitsplatzabbau steht an

Die letzte Firma auf der Ausverkaufsliste werden wohl die Pilatus Flugzeugwerke in Stans sein: Zu lange wurde mit den "Trainern" aus Stans auf die militärische Karte gesetzt, um künftig auch im zivilen Bereich erfolgreich zu sein. Ob die Besitzerin Oerlikon Bührle die Pilatuswerke nun an die deutsche DASA – wie im März dementiert wurde –, an die englische British Aerospace oder an die US-amerikanische Raytheon verkauft – ein drastischer Arbeitsplatzabbau ist in Stans wohl kaum zu verhindern.

Oerlikon Bührle: Abschied von Contraves

Bereits verkauft hat Oerlikon Bührle die lange Jahre grösste Schweizer Waffenschmiede und Rüstungsexporteurin, die Contraves Defence. Ihr Niedergang begann eigentlich schon vor 15 Jahren, als sich die Entwicklung der Adats-Lenkrakete als zwei Milliarden teurer Flop herausstellte. Für die Deckung des Defizits wurden die zivilen Konzernbereiche kräftig zur Kasse gebeten. Im Militärbereich von Bührle wurden seit den achtziger Jahren zwar die Produktivitätszahlen fast verdoppelt, die Zahl der Arbeitsplätze aber um zwei Drittel abgebaut. Seit letztem Jahr ist Contraves Defence Teil der Rheinmetall-Filiale DeTec AG, die sich "zu einem weltweit führenden Kompetenzzentrum für mittelkalibrige Waffen- und Munitionssysteme aufschwingen" möchte.

In Diskussion ist auch eine weitere Beteiligung der Ruag Schweiz AG, in der die ehemaligen Rüstungsbetriebe des Bundes in einer gemischtwirtschaftlichen AG zusammengefasst sind, an der DeTec AG.

Mowag: "Piranha" made in USA?

Noch kurz vor dem Contraves-Verkauf gab im letzten August die Mowag Motorwagenfabrik AG in Kreuzlingen den Verkauf der Firma an die kanadische Tochterfirma von General Motors bekannt. Die Piranha-Panzerwagen sollen weiterhin in Kreuzlingen hergestellt werden. Ein Abbau ist jedoch nicht zu vermeiden, da schon früher der grösste Teil der Mowag-Panzer in verschiedenen Ländern in Lizenz gebaut wurden. Zudem hat die neue Besitzerin bereits den Bereich Ambulanz- und Feuerwehrfahrzeuge von Kreuzlingen an eine andere thurgauische Firma abgegeben.

Fazit: Der Markt hat es nicht gerichtet

Eine kurze Bilanz aus dem Ausverkauf der schweizerischen Rüstungsproduktion: Der Rückgang des weltweiten Waffenhandels seit Ende der achtziger Jahre hat sich direkt auf die Rüstungsproduktion in der Schweiz ausgewirkt. Die Armee hat selber zur Reduktion der Rüstungsarbeitsplätze beigetragen, indem sie immer mehr auf teure sogenannte "Helvetisierungsprogramme" bei Rüstungskäufen verzichtet hat und vermehrt Nato-kompatibles Material "ab Stange" kauft. Weder die private Industrie noch der Bund haben sich je ernsthaft mit konkreten Umstellungsprojekten auf zivile Produktion beschäftigt – Rüstungskonversion wurde immer als falsche Interventionspolitik verschrien, der Markt sollte es richten. Der Markt hat es nicht gerichtet, dass die Beschäftigung aufrechterhalten werden oder gezielt umgestellt werden kann. Das ist auch nicht erstaunlich in einem Wirtschaftsbereich, wo die offiziellen Kunden alles Staaten sind.

Toni Bernet ist Sekretär Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot in Bern.

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