Der gemeinsame Nenner der zahlreichen Proteste gegen die WTO einer internationalen Organisation von 134 Staaten mit dem Ziel der Schaffung und Durchsetzung einheitlicher Handelsbestimmungen besteht im Vorwurf, dass sie eine zutiefst undemokratische Einrichtung ist, die über die Macht verfügt, weltweit die Arbeits-, Umwelt- und KonsumentInnenrechte zu unterminieren, ohne die davon betroffenen Menschen und Organisationen anzuhören. Die WTO erlaubt es einem Land, Gesetze und Bestimmungen jedes anderen Landes aus den Bereichen Arbeit, Umwelt, Menschenrechte und KonsumentInnenschutz als "Handelseinschränkungen" anzufechten, weil sie die Konzernprofite einschränken. Nachstehend nur drei Beispiele für die Tragweite von WTO-Entscheidungen:
Die WTO zwang die Europäische Union ihre Märkte für hormonbehandeltes Rindfleisch zu öffnen, nachdem die USA den EU-Bann für diese Produkte angefochten hatte.
In Frankreich sterben jedes Jahr mindestens 2000 ArbeiterInnen an Krebs, der durch Asbest verursacht wurde. Als Frankreich deshalb alle Formen von Asbest verbieten wollte, wurde ihm beschieden, dass die Gesetze zum Schutz der ArbeiterInnen gegen die WTO-Regeln verstossen.
Die WTO entschied, dass die Luftreinhalteverordnung der USA (Clean Air Act) die u.a. von den Gasraffinerien die Produktion von saubererem Gas verlangte eine unfaire Handelsbarriere für die venezolanische Gasindustrie darstelle.
Um festzustellen, wer am meisten Nutzen aus der WTO zieht, lohnt sich ein Blick auf die SponsorInnenliste für das Treffen in Seattle. Im Gegenzug für ihre Spenden von insgesamt 9,2 Millionen US-Dollar erhielten grosse multinationalen Konzerne bevorzugten Zugang zu den WTO-Verhandlungen (proceedings) (zumindest zu jenen, die nicht wegen der Proteste abgesagt werden mussten!). Zwei grosse Auftragnehmer der Waffenbranche, Boeing und Allied Signal/Honeywell, bezahlten jeweils mehr als eine Viertelmillion US-Dollar, um sogenannte "Smaragd-Sponsors" zu werden, was ihnen den Anspruch auf fünf Plätze bei der Eröffnungs- und Abschlussveranstaltung sowie Zugang zu einem exklusiven Treffen der MinisterInnen verschaffte. Boeing-Chef Phil Condit war Mitglied des GastgeberInnen-Komitees für das WTO-Treffen, ebenso wie der allgegenwärtige Microsoft-Chef Bill Gates. Die "Smaragd-SponsorInnen" erhielten ausserdem vier Plätze für die Privatwirtschaft-Konferenzen des GastgeberInnen-Komitees, laufende Informationen über den Fortgang der Verhandlungen, Unterstützung bei der Hotelzimmersuche, Medienassistenz und Gastfreundschaft. Mit anderen Worten: Während die Leute auf der Strasse gegen ihren Ausschluss protestierten, wurden die Konzern-VertreterInnen mit offenen Armen empfangen.
Nicht nur Firmen wie Nike, die auf Kinderarbeit in Ländern der Dritten Welt setzen, gehören zu den Nutzniessern der schiefen Versuche der WTO, Regeln für das internationale Handelssystem aufzustellen. Rüstungshersteller sind ebenso an der WTO-Agenda interessiert, weil sie dabei sind, zu echten multinationalen Firmen zu werden, die vom Export ihrer Güter abhängen, wenn sie die Gewinnmargen steigern wollen, und deshalb bereit sind für grenzüberschreitende Joint-Ventures, Partnerschaften und sogar Fusionen. Das Pentagon, das jährlich zwischen 75 und 80 Milliarden US-Dollar für Kauf, Forschung und Entwicklung von Waffen ausgibt, ist nach wie vor der grösste Markt für die amerikanischen Waffenhersteller. Doch das Ende des Kalten Krieges könnte der Beginn vom Ende der Idee einer rein "nationalen" Verteidigungsindustrie darstellen, haben doch Fusionen und grenzüberschreitende Zusammenschlüsse aus der Waffenindustrie eine globale Wirtschaftsbranche werden lassen.
So wie die Autohersteller in den 80er Jahren vom "Weltauto" träumten, dessen Bestandteile aus den verschiedensten Ländern stammt, haben die Waffenhersteller und die Regierungen der wichtigsten Militärmächte in den 90er Jahren den Grundstein gelegt für das "Welt-Kampflugzeug". Einige Beispiele:
Die Bestandteile des F-16-Kampfflugzeugs von Lockheed Martin werden heute in einem Dutzend Länder hergestellt, darunter sind als wichtigste Zulieferer Israel, Südkorea, Türkei und Taiwan.
Boeing und Textron investieren in Waffenfirmen in Tschechien und Rumänien in der Hoffnung, nach der Nato-Osterweiterung beim Waffengeschäft mit den mitteleuropäischen Staaten mitzukassieren.
Das Pentagon plant die nächste Generation eines "Gemeinsamen Kampfflugzeugs" ("Joint Strike Fighter") gemeinsam mit U.S.-Firmen und British Aerospace, um den Jet anschliessend an die Truppen beider Länder verkaufen zu können. Als mögliche weitere "Partnerländer" gelten Deutschland, Israel und die Türkei (deren Rüstungsbetriebe dann jeweils einen Teil der Herstellungsaufträge erhalten, wenn ihr Land eine bestimmten Anzahl des neuen Kampfflugzeugs bestellt).
In Europa haben solche grenzüberschreitenden Projekte zum Phänomen des "Marketing des kleinsten gemeinsamen Nenners" für diese Waffensysteme geführt: Es genügt zum Beispiel, dass ein an einem solchen Projekt beteiligtes Land die Ausfuhr von Waffen an einen die Menschenrechte verletzenden Staat gestattet, damit das Gemeinschaftsprodukt an diesen verkauft werden kann (selbst wenn die Gesetze der anderen Partnerländer diese Verkäufe eigentlich verbieten). Zurzeit ist deshalb auch das Pentagon eifrig dabei, die US-Waffenausfuhrbestimmungen "benutzerfreundlicher" für die Exportwirtschaft zu gestalten. Fürchten die US-Firmen doch, dass ihnen die geltende US-Regelung für Waffenexporte die Zusammenarbeit mit europäischen Firmen erschwert.
Dass Boeing zu den wichtigsten Sponsoren des WTO-Treffens gehörte, war keine Überraschung, macht der US-Konzern doch mit dem Verkauf von Raketen, Kampfflugzeugen und anderen Waffensystemen einen jährlichen Umsatz von 13 Milliarden US-Dollar (davon 3 Milliarden durch Export und den Rest mit Verkäufen ans Pentagon). Boeing gehörte auch zu den grössten Befürwortern von Chinas WTO-Beitritt, eröffnet dies doch einen Riesenmarkt für die Passagierflugzeuge des Konzerns. Auch der Verband der US-amerikanischen Luftfahrtindustrie (AIA), dessen Mitglied Boeing ist, machte schon lange Druck für eine "Normalisierung" der Handelsbeziehungen zu China, was nichts anderes meint als die Wiederaufnahme der US-Rüstungsexporte, welche Washington nach dem Tienanmen-Massaker gestoppt hatte. Ausserdem wehrt sich die AIA gegen "einseitige" Handelssanktionen der USA, was die Anstrengungen für eine Einschränkung von Waffenlieferungen an repressive Regimes (wie z.B. bis vor kurzem jenes von Suharto in Indonesien oder die jetzige türkische Regierung) sabotieren würde. Wenn diese Anfechtungen weiterhin Erfolg haben, dann verlieren die Friedens- und Menschenrechts-Organisationen ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Diktaturen (man stelle sich nur vor, die Anti-Apartheid-Bewegung hätte von Gesetzes wegen nicht zu Boykottmassnahmen gegen Firmen aufrufen können, die Geschäfte mit Südafrika trieben).
Steve Staples, Mitglied des "Rats der KanadierInnen" und Vorstandsmitglied des Internationalen Netzwerks für Abrüstung und Globalisierung, sieht in der WTO einen doppelten Nutzen für die Rüstungsindustrie: Sie profitiert nicht nur von der Aufhebung von Umweltschutz-, Gesundheits- und Arbeits-Standards durch die WTO, sondern auch davon, dass ihre eigenen Aktivitäten im Militärbereich durch die WTO vor Konkurrenz geschützt werden (s.a. Steve Staples Artikel "WTO und Krieg" auf Seite 23).
Mike Sears, Chef der Militärflugzeug- und Raketen-Abteilung von Boeing, brachte die Unterstützung des militärischen Sektors für die Art und Weise, wie die WTO den Welthandel organisiert, auf den Punkt, als er erklärte: "Es darf keine Einschränkungen geben für unsere Anstrengungen, die besten Lösungen für unsere Kunden zu finden." Aber was ist, wenn der Kunde die türkische Regierung ist? Eine Regierung, die US-amerikanische Angriffshubschrauber einsetzt, um kurdische Dörfer zu bombardieren. Oder wenn es sich um das indonesische Militär handelt, das US-amerikanische Gewehre an rechtsgerichtete Milizen verteilte, die Tausende von Menschen auf Osttimor abschlachteten? Soll die internationale Gemeinschaft dann wirklich auf die Seite treten und die Rüstungsindustrie die besten "Lösungen" für diese Art Kunden finden lassen?
Friedens- und Menschenrechts-Organisationen verlangen für internationale Waffenkonzernen ein Regelwerk, das restriktiver ist als die Regeln, die für den zivilen Bereich gelten und nicht wie im heutigen WTO-Modell ein weniger restriktives. In den USA, der EU und bei den Vereinten Nationen haben sich verschiedene Persönlichkeiten (darunter der costaricanische Nobelpreisträger Oscar Arias zusammen mit 18 KollegInnen) für einen Verhaltenskodex eingesetzt, der den Verkauf von Rüstungsgütern an DiktatorInnen und menschenrechtsver-letzende Regimes einschränken würde. Die US-Version des Verhaltenskodexes schlägt vor, dass eine Regierung US-Waffen nur erhält, wenn sie folgende Bedingungen erfüllt:
Sie muss demokratisch sein.
Sie muss die Menschenrechte ihrer BürgerInnen respektieren.
Sie darf keine anderen Staaten bedrohen.
Sie muss sich vollständig dem UNO-Register für konventionelle Waffen unterstellen (full participation in the U.N. Register of Conventional Arms).
Vor kurzem hat der US-Kongress einen kleinen Schritt zur Zügelung der amerikanischen Waffenexporte getan, indem er ein Gesetz verabschiedete, dass den Präsidenten dazu anhält, internationale Verhandlungen für die Schaffung von strikteren Vorgaben für den weltweiten Rüstungshandel aufzunehmen. Diese sollen die Kriterien des erwähnten Verhaltenskodexes beinhalten und es dem "House International Relations Committee" ermöglichen, Hearings abzuhalten und Buch zu führen darüber, welche Staaten diese Kriterien erfüllen. BefürworterInnen der Gesetzesvorlage weisen aber daraufhin, dass dies nur ein erster Schritt sei, weil die Kompromissformulierung die USA keineswegs dazu zwingt, diese Kriterien bei ihren eigenen Waffenverkaufsbeschlüssen zu berücksichtigen. Zieht man zudem den Umstand in Betracht, dass zwischen 1990 und 1995 85 Prozent der amerikanischen Waffenexporte in Länder erfolgten, die diese Kriterien nicht erfüllten, wird klar, dass es einen stärkeren Anstoss braucht, wenn die USA den Verhaltenskodex wirklich vollumfänglich einhalten sollen. Was nichts anderes heissen kann, als den Menschenrechten bei Waffenverkäufen die oberste Priorität einzuräumen.
Die wichtigste Erkenntnis für die Friedensbewegung aus den Anti-WTO-Protesten lautet: Internationale Vernetzung ist wie das erfolgreiche Beispiel der Anti-Personenminen-Kampagne gezeigt hat die unerlässliche Voraussetzung für sinnvolle Reformen. Die wichtigste Entwicklung in Seattle war das Zusammenspannen von GewerkschafterInnen mit StudentInnen, UmweltschützerInnen und anderen fortschrittlichen Kräften. Will die Friedensbewegung ein vollwertiges Mitglied dieser neuen, spannenden Koalition werden, bedarf es zunächst einiger Anstrengung in Richtung Gewerkschaften, um die Gemeinsamkeiten herauszufinden. Geeignete Ausgangspunkte dafür gibt es genügend: z.B. der Widerstand gegen "Ausgleichs"-Massnahmen (offset arrangements), welche militärische Technologien und Arbeitsplätze exportieren; oder der Kampf gegen den Handel von Waffen und anderen Technologien mit Regimen, welche die Arbeitsrechte verletzen; oder eine Kritik an WTO-Regeln, welche die Regierung eher zu Militärausgaben veranlassen als zu arbeitsplatzschaffenden Investitionen im zivilen Bereich, oder
Dieser Text wurde auf der Homepage des World Policy Institutes publiziert (Link: www.worldpolicy.org/projects/arms/updates/12999.html).
Übersetzung: db.
Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot
Mitherausgeberin der Zeitung "Friedenspolitik".
Kontaktadresse: ARW, Postfach 249, 3000 Bern 13. Tel. 031/311 71 22
E-mail: arw.fripo@schweiz.orgWeb: www.unite.ch
European Network Against Arms Trade
Netzwerk von Organisationen aus 13 europäischen Organisationen, die sich mit Waffenhandel und Rüstungsexporten befassen.
Web: www.antenna.nl/amokmar/enaat/
E-mail: enaat@amokmar.aps.nl
Campaign Against Arms Trade
Homepage der britischen Anti-Waf-fenhandel-Organisation.
Web: www.demon.co.uk
E-mail: enquiries@caat.demon.co.uk
International Network on Disarmament and Globalization
Web: www.indg.org E-mail: info@indg.org (unter dieser Adresse auch Zugang zur INDG-Diskussionsliste)
Stockholm International Peace Research Institute
Informationen und detailierte Zahlen u.a. zum internationalen Waffenhandel und den Militärausgaben weltweit.
Web: www.sipri.se
E-mail: sipri@sipri.org
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