Die Europäisierung der Rüstungs-industrie und deren Folgen für die Rüstungsexportpolitik

Die Struktur der europäischen Rüstungsindustrie hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Rüstungsfirmen sind zunehmend transnational organisiert. Im Folgenden soll dieser Europäisie-rungsprozess näher untersucht werden, insbesondere in Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Rüstungsexportpolitik.

Von Sibylle Bauer*

Bis in die 80er Jahre konnte die Rüstungsindustrie in Europa im allgemeinen einzelnen Staaten zugeordnet werden. In den letzten Jahren fand eine deutliche Entwicklung in Richtung einer Europäisierung (und in weit geringerem Maße auch Internationalisierung) der Rüstungsindustrie in Europa statt, in Form von Übernahmen, Zusammenschlüssen, Koproduktionen, Joint Ventures, Konsortien, Zulieferungen etc. Besonders bedeutsam war die durch den deutsch-französisch-spanischen Zusammen- schluss von DASA, Aerospatiale-Matra und CASA entstandene European Aero-nautic, Defense and Space Company (EADS). In der Öffentlichkeit werden auch multinationale Rüstungsprojekte diskutiert, beispielsweise der deutsch-französische Angriffshubschrauber "Tiger" und der Eurofighter. Aber die Europäisierung findet auch auf einer Ebene statt, die weniger öffentliche Aufmerksamkeit findet, wie zum Beispiel im Bereich der Zulieferung von Komponenten und Subsystemen. Das genaue Volumen von innereuropäischen Transfers dieser Art ist schwer zu bestimmen, da hier noch weniger öffentliche Daten zur Verfügung stehen als zu Rüstungsexporten allgemein. Diese Transfers sind statistisch kaum erfasst und erscheinen i.a. nicht in nationalen Rüstungsexportberichten.

Die Europäisierung der Rüstungspolitik

Dieser Prozess der zunehmenden Integration auf der Industrieebene ging nicht mit einer parallelen Europäisierung des politischen Rahmens für die zunehmende Integration der europäischen Rü-stungsmärkte und –industrie einher – durch eine einheitliche Beschaffungspolitik oder durch Schaffung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes. Die Mit-gliedstaaten der EU waren bisher nicht bereit, einen Sektor zu vergemeinschaf-ten, der traditionellerweise von auswärtigem Wettbewerb geschützt wird und für den ein hoher Grad an staatlicher Kontrolle und Subventionierung charakteristisch ist. Artikel 113 der Römischen Verträge legt fest: "(…) common commer- cial policy shall be based on (...) the achievements of uniformity in measures of trade liberalisation, export policy and measures to protect trade such as those to be taken in the event of dumping or subsidies."1 Artikel 2232 gibt Mitglied-staaten die Möglichkeit, nationale Sicherheitsinteressen zur Begründung einer Ausnahme des Rüstungssektors von diesen Regelungen anzuführen. Bisher wurde diese Vorschrift weitgehend so interpretiert, dass Waffenproduktion und -handel als Bereiche nationaler Zuständigkeit betrachtet wurden. Herkömmliche Sicherheitskonzeptionen bestehen auf dem Erhalt einer gewissen Mindestkapazität an Rüstungsproduktion, die entweder für die nationale Verteidigung oder für den Erhalt einer – wenn auch subventionierten – eigenen Rüstungsproduktion als unabkömmlich angesehen wird. Dieser Anspruch auf Autonomie in diesem Bereich ist jedoch ohnehin illusorisch, sind doch bestenfalls die USA auf allen Gebieten der Rüstungsproduktion "Selbstversorger" (zumindest was die erforderlichen Technologien betrifft). Aufgrund der zunehmenden Europäisierung sind die Mitgliedsstaaten der EU zunehmend rüstungstechnisch voneinander abhängig. Der Anspruch hat sich nun mehr auf das Ziel einer höheren Selbstversorgung der EU, nicht einzelner Staaten, und damit einer geringeren Abhängigkeit von den USA in diesem Bereich verlagert. Dies wurde besonders im Diskurs über die rüstungstechnologische Überlegenheit der USA im Balkankrieg sehr deutlich.

Rüstungsgüter wurden bisher vom gemeinsamen europäischen Markt und damit von der Zuständigkeit der europäischen Kommission ausgeschlossen, doch jetzt gibt es Bestrebungen, einen gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt zu errichten. Die Einigung auf eine EU-Verordnung zur Kontrolle des Exports von dual-use Gütern3 und die zunehmende Konsultation und Beteiligung der Kommission an sicherheits- und rüstungspolitischen Entscheidungsprozessen weisen auf eine Entwicklung in dieser Richtung hin.4 Die – begrenzte – rüstungspolitische Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten findet jedoch weitgehend im zwischenstaatlichen Bereich statt. 1995 wurde eine Arbeitsgruppe des EU-Ministerrats zur Rüstungspolitik (POLARM) eingerichtet, in der aber kaum konkrete politische Initiativen erarbeitet wurden. Auf dem Gipfeltreffen in Helsinki am Ende der finnischen EU-Präsidentschaft wurde dieses Thema nach einigen weitgehend ergebnislosen Vorbereitungssitzungen, u.a. auf Aussen-ministerInnenebene, nicht in die Tagesordnung aufgenommen. Dies ist u.a. auf das weite Spektrum der Interessen und Charakteristika der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Rüstungspolitik zurückzuführen: Neben weltweit führenden RüstungsproduzentInnen und -ex-porteurInnen gibt es Staaten mit einer kleinen oder sogar ohne Rüstungsindustrie. Des weiteren unterscheiden sich die EU-Länder durch ihre Mitgliedschaft in NATO und/oder WEU oder Neutralität und die damit verbundenen vertei-digungs- und bündnispolitischen Interes-senlagen und Positionen und damit auch divergierenden Standardisierungsanfor-derungen für die Armeen.

Die Mitgliedstaaten der EU arbeiten – u.a. aus diesem Grund – zu rüstungspolitischen Themen nicht zwangsläufig im institutionellen Rahmen der EU zusammen. Ganz im Gegenteil, die rü-stungspolitische Zusammenarbeit fand bisher eher im Rahmen der NATO und der WEU statt.5 Auch dort wurden jedoch wenig konkrete Ergebnisse erzielt. Seit 1997 finden zentrale Verhandlungen in diesem Politikbereich ausserhalb jedes institutionalisierten Rahmens statt, und zwar zwischen den sechs grössten Rü-stungsexporteuren der EU (Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Schweden, Spanien und Italien), im Rahmen des sogenannten Letter-of-Intent-Prozesses. Dessen Ziel ist die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Umstrukturierung der europäischen Rüstungsindustrie. Die Verhandlungen konzentrieren sich auf folgende sechs Teilgebiete:

• Versorgungssicherheit

• Exportregelungen

• Informationssicherheit

• Forschung und Technologie

• Behandlung von technischen Informationen

• Harmonisierung militärischer Anforderungen

Zeitlich ist die Einigung auf einen rechtlichen Rahmen bis März 2000 (ursprünglich Ende 1999) vorgesehen, der dann in nationales Recht umgesetzt werden muss. Diese Entscheidungen werden weitreichende Implikationen u.a. für die Rüstungsexportpolitik haben. Es besteht u.a. die Gefahr, dass restriktivere nationale Richtlinien untergraben werden (siehe weiter unten): z.B. durch eine Vereinfachung von Rüstungstransfers zwischen diesen sechs Staaten (als Schritt in Richtung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes) oder den einseitigen Verzicht auf Anwendung strengerer nationaler Regelungen. Die neuen deutschen Rüstungsexportrichtlinien vom Januar dieses Jahres suchen dies dadurch zu verhindern, dass dem Kooperationsinteresse auf Kosten der rüstungsexport-politischen Kriterien der Vorrang gegeben wird.

Bestimmungsfaktoren der Europäisierung

Schrumpfende Märkte, verringerte Ausgaben für Forschung und Entwicklung und Kürzungen der Rüstungsbudgets, zunehmende Konkurrenz durch Anbieter aus den ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes und aus Entwicklungsländern, und der zunehmende Handel mit gebrauchten Rüstungsgütern haben zu erhöhtem Wettbewerb und Überkapazitäten geführt und damit zum Erfordernis einer Umstrukturierung der europäischen Rüstungsindustrie. Diese Umstrukturierung erfordert ein Ablassen von nationalen Strukturen und eine Ausrichtung an Gesichtspunkten der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Eine Europäisierung des Marktes innerhalb und ausserhalb der EU wird angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation und der Befürchtung von Arbeitsplatzverlusten als prioritär und unausweichlich angesehen.

Die Rüstungsindustrie setzt sich für eine Standardisierung des politischen und rechtlichen Rahmens für Rüstungspro-duktion und -exporte innerhalb der Europäischen Union ein, die der Realität einer zunehmend transnationalen Industrie entspricht. Zu den konkreten Forderungen gehören die Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens für Transfers innerhalb der EU sowie die Harmonisierung der Exportpraxis. Dabei wird Harmonisierung häufig als Euphemismus für die Aufweichung strengerer nationaler Kontrollen verwendet.

Aussenpolitische Zielsetzungen wie zum Beispiel Konfliktprävention, die eng mit ethischen Imperativen verbunden sein können, sowie menschenrechtliche Erwägungen können wirtschaftliche Interessen überwiegen. Im Sinne derartiger Beweggründe wäre eine Einigung auf restriktive gemeinsame Exportrichtlinien, anstatt lediglich auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Diese Aspekte werden insbesondere von Nichtregierungsorganisationen (NGO), u.a. während der Verhandlungen eines EU Verhaltenskodexes in den Vordergrund gestellt.

Folgen für die Rüstungsexportpolitik

Entscheidungsprozesse über Entwicklung, Produktion und den Handel von Waffen sind traditionelle Kernbereiche nationalstaatlicher Kompetenz. Angesichts der hier diskutierten Europäisie-rungsprozesse wird das traditionelle Konzept staatlicher Souveränität in Frage gestellt. Nationale Regulationsmechanis-men können eine zunehmend transnationale Industrie nicht mehr wirksam kontrollieren. Nationale Kontrollen werden zudem durch grundsätzliche Veränderungen im Waffenhandel unterlaufen: dem zunehmenden Handel mit Dual-Use-Gütern, Komponenten, Ersatzteilen, Technologien und Subsystemen. Europäische Waffen bestehen heute häufig aus Komponenten, die in verschiedenen Ländern Europas hergestellt wurden. Dadurch stellt sich die Frage der Zuständigkeit für Exportgenehmigungen, die je nach Land und Zeitpunkt unterschiedlich geregelt ist. Die gegenwärtige Situation der Rüstungsindustrie, insbesondere angesichts der immer schnelleren technologischen Entwicklung und die damit einhergehende Versuchung, Stückkosten durch Exporte zu reduzieren, bedeutet auch einen starken Druck auf die Gestaltung der Exportregelungen.

Nationale Gesetze und Verordnungen stellen noch immer den rechtlichen Rahmen für eine zunehmend transnationale Rüstungsindustrie dar. Während der Export von Rüstungsgütern nach wie vor in den Bereich nationaler Kompetenz fällt, gibt es auch dort eine zunehmende Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten. Diese Kooperation beschränkt sich jedoch weitgehend auf die zwischenstaatliche Ebene der Gemein-same Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) und ist somit von Mehrheitsentscheidungen ausgenommen. So wurde im Juni 1998 ein EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte beschlossen. Dieser beinhaltet acht Kriterien für die Genehmigung von Rüstungsexporten, die beispielsweise die Menschenrechtssituation in den Empfängerländern als Erwägung in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Die Vereinbarung sieht auch ein Verfahren vor für den Informationsaustausch über die Ablehnung von Exportanträgen. Diese Erklärung des Rates ist jedoch nicht verbindlich. Auch sind die Kriterien relativ vage. Gerade deshalb wären Mechanismen zur öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle der Interpretation und Umsetzung von zentraler Bedeutung. Der Kodex sieht jedoch keine Möglichkeit der öffentlichen und parlamentarischen Einflussnahme und Kontrolle vor. Auch fehlen grundsätzliche Elemente einer effektiven Rüstungs-exportpolitik, wie Kontrollen der Vermittlung von Waffengeschäften und des Endverbleibs der exportierten Güter.

Fazit

Schon bisher wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Umgehung strengerer nationaler Exportkriterien benutzt. Es besteht die Gefahr, dass durch den Europäisierungsprozess strengere nationale Regelungen zunehmend untergraben werden. Wichtig ist deshalb, dass nationale Regelungen nicht durch eine EU-Rüstungsexportpolitik ersetzt werden, sondern EU-weite Regelungen einen Mindeststandard darstellen. Von zentraler Bedeutung ist eine erhöhte Transparenz und parlamentarische Kontrolle auf nationaler und EU-Ebene, so-dass von der Öffentlichkeit (v.a. durch NGO) und den Parlamenten eine bessere Kontrollfunktion der undurchsichtigen Produktions- und Exportstrukturen wahrgenommen werden kann. Dies erfordert die Offenlegung der finanziellen Modalitäten von Rüstungsgeschäften, direkten und indirekten Subventionen, sowie Anzahl, Kategorie und Typ der produzierten und exportierten Waffen, und zumindest für Parlamente auch eine Vorabinformation.

1 In etwa: "Die gemeinsame Wirtschaftspolitik soll auf einheitlichen Massnahmen zur Han-delserleichterung basieren sowie auf einer einheitlichen Exportpolitik und auf Massnahmen, die den Handel schützen, z.B. vor Schleuderpreis-Aktionen, oder Subventionen."
2 "Any Member State may take such measures as it considers necessary for the protection of the essential interests of its security which are connected with the production of or trade in arms, munition and war material." (Jeder Mitgliedsstaat kann solche Massnahmen anordnen, wenn er sie als notwendig erachtet für seine wesentliche Sicherheit, die mit der Herstellung oder dem Handel von Rüstungsgü-tern, Munition und Kriegsgerät zu tun haben.)
3 Güter, die sowohl zivil wie auch militärisch genützt werden können
4 Siehe z.B. die Teilnahme der EU Kommission an Sitzungen des Ministerrats und an dessen Arbeitsgruppen zu rüstungspolitischen Themen sowie die Mitteilungen der Kommission zur Rüstungsindustrie.
5 Im Rahmen der "Independent European Programme Group" (IEPG), die später zur "Western European Armaments Group" (WEAG) wurde , und der "Joint Armaments Co-ope-ration Organisation" (OCCAR).

*Sibylle Bauer ist Mitarbeiterin des Institut d’Etudes Européennes an der Université Libre de Bruxelles.


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