Falsch gezielt und doch getroffen

Von Barbara Müller*

Ich erinnere mich an ein Bild aus dem sandinistischen Nicaragua. Es zeigt eine junge, lachende Frau — ein Gewehr umgehängt und an der Brust das säugende Kind. Ich erinnere mich an die Reaktionen, die dieses Bild auslöste: Für die einen war es der Beweis dafür, dass Befreiungsbewegungen im höchsten Masse barbarisch seien, da sie sogar Frauen an die Front schickten. Für viele Frauen war es die Bestätigung, dass in den Befreiungsbewegungen des Südens Gleichberechtigung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch gelebt wurde. Hatten uns die Frauen der Befreiungsarmeen etwas voraus?

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Tanja Kreil (s. Kasten) ist es nun auch deutschen Frauen erlaubt, in den Waffendienst zu treten.

Jene, die gefordert haben, dass Frauen immer und überall den Männern gleichgestellt sein sollen, sehen damit die langersehnte und -erkämpfte Gleichberechtigung einen Schritt nähergekommen. Die Forderungen der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit jedoch gehen in Richtung einer antipatriarchalen, armeefreien Gesellschaft. Wir sind der Meinung, wir Frauen sollten uns zuerst fragen, was wir wollen, bevor wir das selbe fordern. Deshalb sehen wir in dem Urteil keinen Schritt Richtung Gleichberechtigung.

Das haben längst auch die Frauen aus dem Süden schmerzlich spüren müssen. Untersuchungen aus Nicaragua, Algerien und andern Ländern haben ergeben, dass Guerilleros auch nur Männer sind. Am Ende des bewaffneten Konflikts haben sie sich auf ihre traditionelle Geschlechterrolle zurückbesonnen und als erstes die Frauen zurück an den heimischen Herd geschickt. Die gewonnenen Spielräume mussten zurückgegeben werden und auf politischer Ebene sind die Frauen in der Nachkriegszeit erneut ausgeschlossen.

Ob europäische Soldatinnen erreichen, was Feministinnen bis heute nicht geschafft haben: Nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Gleichberechtigung? Kaum. Im Regen-bogenblatt "Neue Revue" interessieren im Zusammenhang mit dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Tanja Kreil Fragen wie: "Schlafen Soldatinnen und Soldaten unter einem Dach?", "Kommt der NATO-BH?" und "Töten Frauen grausamer?" Auf süffisante Weise und mit tiefem Blick in den Ausschnitt einer Soldatin werden diese Fragen mit "ja", "nein" und "je nach dem" beantwortet.

Einmal mehr zeigt sich, dass Frau sein allein kein Programm ist. Vielmehr kommt es darauf an, welche Visionen von Gerechtigkeit wir haben. Unsere ist ganz klar antimilitaristisch.

Gleichberechtigung kommt nicht aus den Gewehrläufen — aber ein Gewehr in Frauenhänden stört offenbar patriarchale Selbstverständlichkeiten. Die kritische Diskussion darüber, ob, wie und weshalb Frauen ins Militär integriert werden, bleibt wohl einmal mehr den feministischen Frauen überlassen. Den Männern hingegen bietet es ein neues Ziel für sexistische Stammtischwitze.

*Barbara Müller ist Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit in Zürich.

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