Interne Vertreibung ist ein Phänomen, das immer mehr Menschen weltweit betrifft: Menschen, die gezwungen werden, innerhalb ihres eigenen Landes an einen sichereren Ort zu fliehen. Die Gründe können Naturkatastrophen, wie Dürre oder Überschwemmungen, aber auch von Menschen gemachte Katastrophen wie Kriege und politische Unruhen sein. In Anbetracht dieser zunehmenden Tragödie hatte bereits 1992 der Generalsekretär der Vereinten Nationen einen Delegierten bestimmt, welcher sich der Probleme der Vertriebenen annehmen soll. Zufälligerweise handelt es sich bei diesem Delegierten um einen Sudanesen, Dr. Francis Deng, einen Angehörigen des Stammes der Dinka. Das Volk der Dinka leidet selber ausserordentlich unter Vertreibung.
Auch im Sudan ist die Vertreibung der Menschen eng mit zwei Hauptgründen verknüpft: Mit dem Mangel an persönlicher Sicherheit oder der Unmöglichkeit sich in ökologisch prekären Zonen den Lebensunterhalt zu sichern.
Der Sudan ist das grösste Land Afrikas und potenziell reich, und doch sind diese zwei Grundprobleme die Basis für die Vertreibung der Menschen. Auch wenn keine genauen Zahlen existieren, schätzen alle international anerkannten Organisationen die Zahl auf vier Millionen Vertriebene; die überwiegende Mehrheit davon sind Frauen und Kinder.
Die am stärksten von dieser humanitären Krise betroffenen Gebiete sind der Südsudan, die Nuba-Berge, die Gegend des südlichen Blauen Nils und die Gegend von Darfur. Es wird geschätzt, dass im Südsudan, den Nuba-Bergen und am südlichen Blauen Nil bisher mindestens 1,5 Millionen Menschen umgekommen sind, entweder als direkte Folge des Krieges, oder durch vom Krieg ausgelöste Hungersnöte und Krankheiten. Die Mehrheit der Betroffenen gehört zu den Völkern der Dinka, Nuer, Sholouk, Nuba und Ingassen. In Darfur starben zwar bedeutend weniger Menschen an den Folgen von Hunger oder im Kampf um Weidegründe; gemäss eines UN-Berichtes von 1999 wird jedoch vermutet, dass in Darfur wegen der Stammeskämpfe allein in den vergangenen Monaten mindestens 20000 Personen umkamen und mehr als 100 000 Häuser zerstört wurden.
Die Vertreibung von Menschen im Südsudan und in den Nuba-Bergen ist direkt mit dem seit 1983 wieder aufgeflammten Bürgerkrieg verbunden. In diesen Gebieten haben die Sicherheitskräfte der Regierung die Zivilbevölkerung während Jahren gezielt bombardiert und Dörfer niedergebrannt, um diese Gegenden zu entvölkern. Die Regierung ging davon aus, damit die Nachschubslinien der Rebellen zu zerstören.
Die bewaffnete Guerilla ist nicht besser als die Regierungsarmee: Sie hat die Zivilbevölkerung ebenso rücksichtslos und gezielt angegriffen, um junge Männer zu entführen und diese in ihre Reihen zu integrieren. Zivilpersonen blieb keine andere Wahl, als Schutz und Sicherheit ausserhalb der Kampfzonen in anderen Gebieten zu suchen; oder sie waren gar gezwungen als Flüchtlinge in Nachbarstaaten wie Äthiopien, Kenia, Uganda und dem Kongo (früher Zaire) Zuflucht zu suchen. In Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in diesen Ländern kamen die unglücklichen Kriegsopfer oft vom Regen in die Traufe. Dies erklärt auch, warum eine grosse Zahl der Opfer es vorzog, Vertriebene im eigenen Land zu sein, anstatt die Grenzen der Nachbarstaaten zu überschreiten, und damit als Flüchtlinge anerkannt zu werden und Schutz zu erhalten.
Im westlichen Darfur ist die Vertreibung verbunden mit der Dürre und der fortschreitenden Desertifikation, welche das Gebiet in den 70er und 80er Jahre hart traf. Die Region wird von zwei Völkern, viehzüchtenden AraberInnen und Landwirtschaft betreibenden Stämmen, bewohnt. Die ökologische Krise führte zu einer Abwanderung der viehzüchtenden Stämme in bisher unbekanntem Mass: Weg von der Halbwüste in fruchtbarere Gegenden, auf der Suche nach neuen Nahrungsgrundlagen und um sich dort fest niederzulassen. Als Folge dieser massiven Verschiebung von Menschen kam es in der ganzen Gegend zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Die Anzahl Vertriebener innerhalb des Sudans ist schlecht dokumentiert. Es gibt keine genauen Zahlen, weil die Regierung solche Informationen manipuliert. Die grösste Konzentration Vertriebener befindet sich rund um die Hauptstadt Khartum, wo rund 2,5 Millionen Menschen unter sehr schwierigen Bedingungen leben. Normalerweise sorgen diese für sich selber oder werden von Verwandten unterstützt, die schon früher angekommen waren. Die humanitäre Hilfe durch die internationale Gemeinschaft ist dürftig. Dies ist auch zurückzuführen auf die von der Regierung verfügten starken Einschränkungen, welchen internationale Hilfsorganisationen unterworfen sind. Die Regierung führt zwar ein paar Lager für Vertriebene, doch diese Lager können nur einen kleinen Teil der betroffenen Menschen aufnehmen. Zudem ist der zeitliche Aufenthalt in diesen Lagern beschränkt. Dies lässt den Verdacht aufkommen, dass sie für andere Zwecke missbraucht werden, wie Sicherheitsuntersuchungen oder religiöse Indoktrination, bevor die Vertriebenen an andere Orte verschoben werden. In den von der Regierung kontrollierten "Friedensdörfern" für Vertriebene aus den Nuba-Bergen zum Beispiel wird humanitäre und medizinische Hilfe vom Einhalten islamischer Riten abhängig gemacht.
Da Vertriebene ihre Heimat plötzlich verlassen müssen und auch auf keinen rechtlichen Schutz, wie ihn Flüchtlinge geniessen, zählen können, gehören intern Vertriebene zu den verletzlichsten Teilen der sudanesischen Gesellschaft. In vielen Fällen stehen sie ausserhalb der rechtlichen Struktur des Landes. Die Mehrzahl derer, die dem Krieg im Südsudan, in den Nuba-Bergen und am blauen Nil entkommen sind, leben unter unmenschlichen Bedingungen in selbstgemachten Hütten am Rand der Städte. In diesen Ghettos fehlt es praktisch an allem, um auch nur einen minimalen Lebensstandard zu gewährleisten. Diese Menschen haben kaum Zugang zu sauberem Wasser, medizinischer Hilfe, Lebensmitteln oder Arbeit. Zusätzlich werden diese Lager oft von der Regierung zerstört und Hütten, Schulen und Kirchen ohne Kompensation platt gewalzt.
* Tariq Abdalla ist Generalsekretär der Sudanese Swiss Action Group (SSAG), welche sich in den Bereichen Menschenrechte, Frieden und Demokratie engagiert.
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