Mr. Wamba, ein Arzt und anerkannter Flüchtling aus der Demokratischen Republik Kongo, schaut ab und zu von seinem Früchtestand in Johannesburg auf. Er lächelt seinen KundInnen stets freundlich zu, ist aber gleichzeitig immer auf der Hut. Denn er erwartet jederzeit Ärger. Besonders aufmerksam wird er, wenn das glühende Gesicht von Herrn Mahlangu auftaucht, seinem Nachbarn auf der anderen Strassenseite. Dieser Konkurrent, ein südafrikanischer Früchteverkäufer mit aggressivem Gebaren, scheut sich nicht, seine Verachtung für die "Makwerekwere" zu äussern. Wamba wird später ermordet aufgefunden. Es gibt keinerlei ZeugInnen.
Obwohl die Namen rein erfunden sind, sind solche Ereignisse wie im Film "Der Fremde" des südafrikanischen Regisseurs Zola Maseko kürzlich dargestellt leider sehr real. Es scheint, dass die Gewalt gegen AusländerInnen in Südafrika zunimmt. Menschenrechtsgruppen und organisationen dokumentierten in den letzten beiden Jahren Dutzende von Gewaltakten an AusländerInnen; Sie wurden zu Opfern nur weil sie Fremde sind, eben "Makwerekwere", wie sie abwertend genannt werden.
Ist dieses Phänomen neu? Oder erhält es heute nur mehr Aufmerksamkeit?
Ein besonders schrecklicher Vorfall ereignete sich 1998 auf einem Zug zwischen Johannesburg und Pretoria, als drei senegalesische Asylbewerber von einer Gruppe arbeitsloser Südafrikaner brutal ermordet wurden diese wollten damit gegen die hohe Arbeitslosigkeit im Land demonstrieren. Zahllose Vorfälle werden den regionalen Flüchtlingsforen gemeldet und bestätigen, dass AusländerInnen häufig eingeschüchtert und belästigt werden, meist begleitet von entwertenden Beschimpfungen. Als Resultat müssen viele Betroffene ihren Haupterwerb, das Handeln auf der Strasse, aufgeben.
Es ist also eine Tatsache, dass AusländerInnen in Südafrika ausgegrenzt werden, doch mögen die Leute meist noch nicht von einer Welle der Xenophobie sprechen und schreiben die grosse Zahl von Gewaltakten an AusländerInnen lieber der allgemein hohen Kriminalitätsrate zu.
Erst vor kurzem begann man, das Wort "Xenophobie" überhaupt zu verwenden. Es wird davon ausgegangen, dass diese Gewalt gegen AusländerInnen ein neues Phänomen ist, trotz der langen Geschichte der meist regionalen Migration von und nach Südafrika. Um die Gründe dieser "modernen Xenophobie" zu verstehen, müssen zunächst die Ursachen der Migration nach Südafrika erläutert werden.
Schon seit Generationen wandern Leute in Südafrika ein sie überschritten dabei künstliche kolonialen Grenzen. Durch den Bedarf der südafrikanischen Industrie nach ungelernten und angelernten Arbeitern wurde die Immigration zusätzlich gefördert. Diese Nachfrage wurde sogar zur Basis für diplomatische Verhandlungen zwischen der Republik Südafrika (vorher Union Südafrika) und den kolonialen Autoritäten in den Nachbarländern. Die "Vertragsarbeit" von AusländerInnen versorgte Südafrika mit mindestens der Hälfte der Arbeitskräfte, die benötigt wurden, um seine Minenindustrie, die wachsenden Landwirtschaftsbetriebe und andere Industriebereiche zu betreiben. Zusätzlich zur schlimmen Ausbeutung, die diese ArbeiterInnen während der Apartheid erleben mussten, erhielten sie nicht einmal das Niederlassungsrecht in der Republik. Die neue Regierung versuchte, diese Situation durch eine Vielzahl von "Amnestien" zu verbessern, welche einigen Hunderttausend Minenarbeitern eine dauerhafte Niederlassungsbewilligung gewährten. Doch blieben viele andere ohne dieses Recht und sind damit weiterhin von Verhaftung, Einkerkerung und Ausschaffung bedroht.
Mit den demokratischen Veränderungen der letzten zehn Jahre, wurde die Anziehungskraft der Republik Südafrika für die Bevölkerung der Nachbarländer noch grösser. Viele Menschen werden vom Reichtum der Republik angezogen, gerade aus so armen Nachbarländern wie Moçambique, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Krieg ist eine weitere wichtiger Ursache für die Migration nach Südafrika. Allein aus Moçambique flohen zwischen 1985 und 1992 rund 300 000 Menschen. Die Republik verweigerte damals diesen Flüchtlingen die Einreise obwohl sie selbst eine Hauptverursacherin des Krieges war. Doch konnten viele die Grenze dennoch irgendwie überqueren und in Südafrika Unterschlupf finden. Andere landeten in einem der wenigen Flüchtlingslager in den damaligen, unabhängigen Homelands Kingwane und Gazankulu dies nachdem die Flüchtenden die Elektrozäune, "Feuerwälle" genannt, die Grenzpatrouillen und die gefährlichen Tiere im Krüger-Tierpark überwunden hatten. Die Misère dieser Flüchtlinge wird angesichts neuer Flüchtlingsströme allgemein ignoriert.
Seit der Einführung eines Asylverfahrens im Jahr 1994 wurden in der Republik Südafrika erst etwa 50 000 Asylanträge eingereicht. Die meisten AsylbewerberInnen kommen aus weit entfernten Ländern wie Somalia oder Sri Lanka. Trotz dieser relativ kleinen Zahl hat die Regierung Mühe, innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne asylpolitische Entschlüsse zu fassen. Sie bleibt somit vorläufig dabei, den Betroffenen keinerlei materielle Unterstützung anzubieten. Dafür ist es AsylbewerberInnen und anerkannten Flüchtlingen gestattet zu arbeiten. Die Flüchtlinge suchen also im hart umkämpften Arbeitsmarkt Südafrikas nach Stellen oder nach einer selbständigen Beschäftigung im informellen Sektor, was viele erwerbslose Einheimische vor den Kopf stösst.
Es gibt nur eine Handvoll von Nichtregierungsorganisationen, welche den Eingewanderten mit dem Nötigsten aushelfen und ihnen rechtliche Unterstützung anbieten, doch sind diese viel zu wenige, um die Not wirklich zu lindern.
Während des Kalten Krieges kamen viele Weisse aus Ost-Europa als "Kommunismus-Flüchtlinge" ins Land, andere Weisse flohen nach der Befreiung der Länder Angola, Zimbabwe, Moçambique etc. nach Südafrika. Im Gegensatz zu den Nicht-Weissen fiel es ihnen leicht, sich dort zu etablieren, hatten sie doch als rassisch Privilegierte nicht die gleichen ökonomischen Diskriminierungen zu erleiden wie ihre farbigen KollegInnen. Selten hörte man von vom Ausländerhass inspirierten Übergriffen diesen EinwandererInnen gegenüber, wohl weil sie keine soziale oder ökonomische Bedrohung darstellten.
Die früheren Regierungen Südafrikas hatten die berüchtigte "Apartheidspolitik", welche das Land in verschiedene soziale, ökonomische, ethnische und andere Kategorien spaltete, auch auf die Einwanderungsgesetze angewandt. Das Rückgrat dieser Politik bestand in rassistischen Passgesetzen, Rassenzugehörigkeits-Bestimmungen und Erlassen zu territorial beschränkten Niederlassungsbewilligungen und anderen ähnlichen Elementen, welche unter der Jurisdiktion des Departementes standen, das über die Immigration zu bestimmen hatte. Die gesamte Einwanderungs- und Grenz-Politik des Landes war von der Rassenfrage bestimmt und wurde mit dem "Aliens Control Act" (Fremdenkontroll-Erlass) umgesetzt, welcher ständig durch ad-hoc-Ergänzungen geändert wurde. Dieser Erlass ist heute noch in Kraft; allerdings ist er heftig umstritten und der öffentliche Druck, den Erlass aufzuheben, nimmt zu.
Die Wahlen von 1994 brachten den Entrechteten die Demokratie und Gleichberechtigung, konstitutionelle Grundsätze und einen Rechtsstaat. Im Kontrast zum Wachstum vieler Wirtschaftszweige (die im Besitz von Weissen sind) gab es nur einen schmerzhaft langsamen Fortschritt im sozialen Sektor von den Veränderungen haben einige mehr profitiert als andere. Zwar bestreitet niemand den allgemeinen Wert der Demokratisierung, doch wird diese Fortsetzung einer ökonomischen Apartheid allgemein kritisiert. Trotz der sogenannten affirmative action, der Förderung Nicht-Weisser, ist der Zugang zu Arbeitsplätzen und Dienstleistungen für diese immer noch schwierig.
Kurz gesagt: Es gibt immer noch grosse Ungleichgewichte zwischen den Habenden (Weissen) und den Habenichtsen (Nicht-Weissen) und damit einen grossen Bedarf nach sozialer Gerechtigkeit.
In Europa sieht man meist eine Verbindung zwischen Xenophobie und Rasse (Weisse, die Schwarze diskriminieren), verbunden mit einem mangelnder sozialer Gerechtigkeit und Fürsorge. In Südafrika ist es leider meistens der Fall, dass schwarze SüdafrikanerInnen Gewalt gegen andere Nicht-Weisse, meist ausländische AfrikanerInnen, ausüben. Obwohl ihre sozio-ökonomische Lage sehr ähnlich ist, trennt sie der Pass und kommt es zu fremdenfeindlicher Gewalt.
Südafrika braucht mehr als soziale Gerechtigkeit. Die südafrikanische Bevölkerung muss darüber informiert werden, weshalb sich AusländerInnen im Land befinden. Die EinwandererInnen tragen zur Wirtschaft des Landes bei und schaffen sogar Arbeitsplätze doch wird dies von den PolitikerInnen ignoriert. Immer mehr Studien zeigen auf, dass sich die meisten AusländerInnen bloss vorübergehend in Südafrika aufhalten und meist nur kleine Geschäfte abwickeln. Doch unterstützt die Regierung immer noch eine Ausländerpolitik, welche in ihrer Natur restriktiv ist und sich am u.s.-amerikanischen Grenzschutz orientiert.
Auch die Medien haben zum wachsenden Eindruck beigetragen, dass Südafrika von einer "Flut von AusländerInnen" überschwemmt werde, und machen letztere für viele soziale Probleme, wie der hohen Kriminalitäts- und Arbeitslosigkeitsraten, verantwortlich.
Da es sich nicht um ein nationales, sondern um ein regionales Problem handelt, braucht es auf überstaatlicher Ebene eine politische Behandlung des Themas. So müsste sich beispielsweise die südafrikanische Entwicklungs-Gemeinschaft (SADC), ein Wirtschaftsverbund der südafrikanischen Länder ähnlich dem EWR oder der NAFTA, darum kümmern. Ein Entwurf des SADC, der die Freizügigkeit im Personenverkehr vorschlägt, hat bei der südafrikanischen Regierung nicht gerade Enthusiasmus ausgelöst, obwohl deren eigenes "Weisspapier über internationale Migration" die Notwendigkeit sub-regionaler Lösungen anerkennt. In erster Linie besteht ein Bedarf an einer Migrationspolitik, welche die Realitäten der Migration nach Südafrika anerkennt und diese auf eine gerechte Art mit den legitimen, nationalen Interessen der Republik ausbalanciert.
Viele ExpertInnen meinen, dass eine Politik, die auf Südafrikas tatsächlichen Bedürfnissen an Arbeitskräften basiert, die Entwicklung des Landes positiv beeinflussen würde. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt möglich ist, zu bestimmen, worin denn diese Arbeitsmarktbedürfnisse bestehen. Gewiss könnte aber die Legislative auf viele der Probleme eingehen, die von Menschenrechtsorganisationen beklagt werden, und viele BeamtInnen bestätigen, dass eine Migrationspolitik, die nicht auf ad-hoc Beschlüssen basiert, leichter umzusetzen wäre.
Auf der anderen, positiven Seite gibt es eine wachsende Zahl von NGO, die sich mit den sozialen und politischen Dimensionen der Migrationsfrage auseinandersetzen. Eine solche Organisation ist das Nationale Konsortium für Flüchtlingsfragen (NCRA), welches 1997 von Hilfswerken, AkademikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen gegründet wurde. Auch das UNHCR unterstützt diese Initiative, vor allem materiell. Die Flüchtlingsgemeinschaft ist durch Delegierte aus den regionalen Komitees vertreten. Die Regierung nimmt als "Beobachterin" teil. Momentan hat die Südafrikanische Menchenrechtskommission (SAHRC) den Vorsitz im NCRA, welche nun ein separates Projekt für eine Kampagne gegen die "schwarze Xenophobie" aufgebaut hat.
Diese Art von Initiativen wird ergänzt durch eine wachsende Zahl von AnwältInnen, AktivistInnen, ForscherInnen und GewerkschafterInnen und anderen Engagierten, welche bereit sind, das heikle Thema anzugehen, Missbräuche durch die Regierung anzuklagen und für eine realistischere und humanere Politik einzustehen.
Die positiven Auswirkkungen der Anti-Apartheid Bewegung in Europa mit ihren Aktionen, ihrem Lobbying und ihrer materiellen und technischen Unterstützung lokaler PartnerInnen hat gezeigt, welchen Wert solche zivilgesellschaftliche Engagements für die Gerechtigkeit haben können. Ausserdem können die europäischen Erfahrungen bei der Unterstützung von Flüchtlings- und MigrantInnenkreisen und die Entwicklung von rechtlichen und administrativen Verfahren wenn diese auch keineswegs perfekt sind Südafrika als Handhabe dienen. Und sei es nur, um zu verhindern, dass wir die gleichen Fehler wiederholen.
Eine solche Initiative wurde von der südafrikanischen NGO "AnwältInnen für Menschenrechte" gegründet, die in Zusammenarbeit mit dem NCRA und holländischen Organisationen wie NIZA, Oxfam oder dem holländischen Flüchtlingsrat Austauschprogramme für SozialarbeiterInnen in der Flüchtlingsarbeit anbietet. Ergänzt wurde dieses Projekt durch ein Ausbildungsprogramm für NGO und durch Bewusstseins- und Solidaritätsarbeit mit anderen Organisationen in Europa, um weitere Unterstützungsprogramme aufbauen zu können.
Aber weit mehr Hilfe ist nötig. Für die Menschen in Südafrika braucht es eine neue Art von Solidarität, um die ökonomischen und sozialen Fesseln, die das Volk gespalten haben und es misstrauisch gegenüber allem Fremdem machten, endgültig loszuwerden.
In der Zwischenzeit ist das Leben für einen Mr. Wamba hart, wie auch für seine LeidensgefährtInnen. Es ist auch hart für Mr. Mahlangu.
*Jeff Handmaker ist Anwalt in Südafrika, spezialisiert auf Menschenrechte und Flüchtlingsfragen. Gegenwärtig hält er sich für ein Zusammenarbeitsprojekt mit dem niederländischen Institut für Südafrika (NIZA) in Holland auf. Übersetzung: mr.Inhaltsübersicht | nächster Artikel |